Ein Zipfelchen blauer Himmel...

Francoise Dorner - "Die letzte Liebe des Monsieur Armand"

von Frank Becker
Ein Zipfelchen blauer Himmel...

"Das Leben, das ist doch nur ein Begriff, Pauline. Man liebt Menschen, Tiere, Orte. Manchmal ist es ein Mensch, der unsere ganze Liebe beansprucht, und wenn man ihn verliert, gehen die Dinge, anders als man landläufig glaubt, trotzdem weiter ihren Gang. >Uns fehlt ein einziges Wesen<, sagt Giraudoux, >dabei wimmelt es um uns von Menschen.< Verstört sieht man sich von Statisten umgeben, man sucht Vergessen in der Einsamkeit, aber die Einsamkeit dörrt aus, anstatt zu erheitern."

Der vom Leben enttäuschte Philosophielehrer Armand (70) ist der 20-jährigen Pauline begegnet, die mit
frischer Direktheit und jugendlicher Unbekümmertheit  längst verschüttete Gefühle in dem alten Herrn weckt. Der vereinsamte Witwer entdeckt noch einmal, was es heißt, Liebe zu fühlen und Zuneigung zu bekommen. Françoise Dorner hat sich mit sehr viel Delikatesse in einen alten Mann und in ein junges Mädchen hineingefühlt, die ihre Defizite - denn auch Pauline ist nicht ohne seelische Last - am anderen entdecken und mit ihm zu tilgen suchen. Doch auch die scheinbaren Randfiguren des kleinen Romans sind einfühlsam ausgearbeitet, gewinnen in der Auseinandersetzung mit Armand bewundernswerte Züge und entwickeln ihre Charaktere so unerwartet wie energisch.

So entzaubert die grantelnde Zugehfrau Liz Dune den "netten alten Herrn" indem sie ihm den Spiegel vorhält, beginnt Pauline ganz anders über sich selbst nachzudenken und tritt Armands Sohn Pierre nicht nur aus dem Schatten des Vaters. Paulines Auftauchen im Leben Armands, das dieser als "Ein Zipfelchen blauer Himmel..." empfindet, wird drei Generationen seiner Familie, sie selbst und einige andere verändern. Es wird Streit, Liebe,
Tod und wieder Liebe bringen. Françoise Dorner gelingt es elegant und klug, keines der Gefühle billig erscheinen zu lassen oder zu überhöhen. Sie beschreibt die "Grausamkeit der Jugend" ebenso unanstößig wie die Angst vor Gefühlen und vor Versagen. Mal als neutrale Betrachterin der Szene um Pauline, mal aus der Warte von Armand erzählt sie von einer letzten großen Liebe und der oft so tief verborgenen Wahrheit: "Seit ich Pauline kannte, entdeckte ich jeden Tag aufs neue, daß ich nicht gut und edel war. Aber ich fand mich immer besser damit ab."

"Die letzte Liebe des Monsieur Armand" ist ein wunderbares Buch über Liebe, Ängste und Mut, über Reinheit und Verstocktheit des Herzens, über die ermutigende und über die letzte Wahrheit. Es ist eine Liebesgeschichte, eine Vater-Sohn-Geschichte und wieder eine Liebesgeschichte, die so raffiniert aufgebaut ist, daß man aufgeregt liest, um zu erfahren, ob sich ereignen wird, was sich andeutet.
Françoise Dorners kleiner philosophischer Roman steht ebenbürtig in einer Reihe mit Patrick Süskinds "Die Geschichte vom Herrn Sommer", Klaus Nonnemanns "Die sieben Briefe des Doktor Wambach" und Konrad Strauß´ "Windegger - oder eine Liebe im Herbst".  Eine Empfehlung.
Beispielbild
Titelzeichnung von Sempé

Françoise Dorner
Die Letzte Liebe des Monsieur Armand

Roman

© 2007 Diogenes Verlag

138 Seiten, Leinen mit ill. Schutzumschlag
17,90 €

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch