Hitzeblues über Lodz

Ein Gedicht

von Michael Zeller

HITZEBLUES ÜBER LODZ

„Das geistige Leben der besitzenden Klasse“
sagte mal Rosa Luxemburg
von dieser Stadt, die sie gut kannte
„dem Liede gleicht es“ (komm, laß hören!)
„dem Lied des Schweins, das triumphiert“

Und immer noch ist früher Mittag
und dröhnt mir nach im Kopf das Lied
das rosa Lied der Luxemburg
So heiß. August ist es in Lodz
Der Sommer glüht zum höchsten Preis
Längst ist die erste Flasche Wasser
hinabgeschickt und Schweiß geworden
beim GehenGehen in diesen Straßen
Hitzeflimmern auf der Haut
und Salz im Haar juckt mir im Nacken
als ginge ich am Rand von Wüsten
Die nächste Flasche und die dritte
sind mir zur Hand beim Gehen hier
(wie im November Regenschirme)
durch diese harte Arbeitswelt
hinabgesunkener Epochen

Von  fünf Uhr früh bis neun Uhr abends
war Schicht, sie ging von Nacht zu Nacht
Wer redete von Feiertagen?
Du suchst die Spuren solchen Schuftens
für die paar legendären Namen
die hier zu Millionären wurden
Alles weit und groß und Masse
Schluckt Kilometer deines Gehens
die Piotrkowska rauf und runter
bestückt mit den Fabrikgehäusen
aus rotem Ziegel hochgezogen
fünf, sechs Stock. Titanisch leer
An den Ecken Festungstürme
die das Gemäuer feste halten
erkennen sie einander kaum
(Umsonst schaust du nach Schützen aus
hinter ihren hohen Zinnen)

Tausende von Arbeitern
fraß so ein Bau von fünf Uhr früh
bis neun Uhr abends, Nacht zu Nacht
sieben Tage in der Woche
Armeen waren zu bekleiden
im ungeheuren  Land des Zaren
Und Wand an Wand mit den Fabriken
stehn die Paläste der Magnaten
der Stoffbarone dieser Stadt
Herren aller Stofflichkeit
Poznanski Scheibler Grohmann Heinzel
(mit Gold gesalbte Könige
einst Hasardeure, hergelaufen) 
in Parks mit Teichen und Pagoden
und Tempelwucht mit Nippesgöttern
Der bloße Stoff. Materie
ganz geistverlassen geistverloren
Auch innen strotzt’s vor Protz und Prassen
Gold blitzt aus allen Winkeln pur
Polierter Stuck will Venus sein
und plumpst als Knödel in dein Auge
Die Großmannssucht : undelikat
Wer wollte dort geladen sein?

Du gehst vorbei in deinem Schweiß
nachgefüttert aus der Flasche
im Rhythmus deiner Schritte hier
Selbst die Nacht läßt dich im Stich
strömt  Hitze ab von sich wie tags
Der Schlaf bleibt leicht ein flaches Träumen
und nach der Morgendusche schon
die doch Frische bringen sollte
rinnt dir der neue Schweiß ins Hemd
beim GehenGehen ohne Rast
Als säß ein Rasen dir im Kopf
diese Bauwut abzulaufen
der Scheibler Geyer und Poznanski
und fräß die langen Strecken weg

Fabriken. Nichts als sie. Fabriken
und zwischendrin die dunklen Höfe
in nie erlebten Fluchten tief 
gepflastert oder schierer Staub
von Autoreifen eingekerbt
Und Menschen sitzen dort beisammen
auf einer Treppe unten. Menschen
die Flasche Bier die Zigarette
allein niemals im Dämmerlicht
und strahlen solche Ruhe ab
wie ihre Katzen um sie rum
Denkmale eines anderen Seins
In einer Schönheit die berührt
blühen blau und violett
Stockrosen hoch am Holzverhau
Maschinenstürme Streiks und Schüsse
sie gingen über sie hinweg
Achtzehnhundertzweiundneunzig
sind hundertvierzig ihresgleichen
erschossen worden. Denn sie streikten
Das ist vorbei und ist doch da
in ihrem Hocken auf der Stufe
das Bier zur Hand die Zigarette
Von fünf Uhr bis neun Uhr abends
war Schicht, sie ging von Nacht zu Nacht
Wer redete von Feiertagen?
Es  floß der Schweiß und reichte nie
Es mußte höher größer schneller
Armeen waren zu bekleiden
bevor der nächste Krieg sie fraß
Die Bänder rasten um sich selbst
liefen jeder Hand davon
Enthemmt. Nie gab es ein Genug
der Steigerung. Ein Meer von Mehr
und kannte keinen Horizont

Die Masse hat sich aufgezehrt
im bloßen Raffen von Profiten
Und sie? Sie sind dahingegangen
die Grohmann Scheibler Heinzel Geyer
mit Gold gesalbte Könige
einst Hasardeure, hergelaufen
Wer möchte ihre Namen nennen
freundlos wie ihr totes Geld? 
Wie schnell der Staub sie wieder hatte
für Ewigkeiten des Vergessens
und sind folgenlos geblieben
für eine Welt die kam und kommt
Kein Funke Atem träumt in ihnen

Und GehenGehen immer noch
die Blasen wachsen an den Sohlen
Blut läuft endlich in den Schuh
Blut! Jetzt kann ich gehen von hier
Ja. Ich habe Lodz gesehen
Ja. Jetzt ahn ich wo es liegt
und wie es seine Menschen hielten
als diese Stadt Geschichte machte
Armut hieß sie. Reichtum war ihr Name
Heißer Schweiß durchlief die Körper
Verdampft vertrocknet und verduftet 
im Triumphgesang der Schweine
Es war in Lodz, kann ich jetzt sagen
wo diese große Hitze war
auf meiner Haut und auf den Steinen
August war es und heiß in Lodz


PS.: Die diakritischen Zeichen der polnischen Namen sind weggelassen. Aus klanglichen Gründen, vor allem im Titel, sei darauf hingewiesen, daß der Städtename „Lodz“ auf Polnisch (annähernd) „Wuhdsch“ ausgesprochen wird.

© Michael Zeller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007

Beispielbild
Michael Zeller - Foto © Frank Becker

Michael Zeller lebt seit ein paar Jahren in Wuppertal. Zuletzt ist von ihm die Schrift „Granaten und Balladen“ erschienen, ein "Bosnisches Mosaik" (2005). Herbst 2007 wird sein dritter Roman „Die Sonne! Früchte. Ein Tod“ neu aufgelegt, aus Anlaß seines 25jährigen Berufsjubiläums als Freier Schriftsteller.

Informationen über sein literarisches Werk unter www.michael-zeller.de.