Baden im Kanal

Karin Boehm - "Frau Malenki liebt Heinz Maegerlein"

von Frank Becker
Hätten Sie´s gewußt?

War früher alles schöner, besser? Wer Romane über vergangene Kapitel unserer jüngeren Geschichte schreibt wie Karin Boehm mit "Frau Malenki liebt Heinz Maegerlein", gerät leicht in den Verdacht der Verklärung. Wenn es aber eine
so gelungene Aufarbeitung einer Zeit der "kleinen Leute" ist wie in diesem Fall, an die viele sich noch erinnern können, weil sie dabei waren, ist das ein Anlaß zur ungetrübten Freude. Die Geschichte der Kindheit und Jugend der Bergmannstöchter Elfi und Hanne, aus dem Blickwinkel der fünf Jahre jüngeren Elfi erzählt, berührt besonders durch ihre Authentizität und Lebensnähe.

Es beginnt im Sommer 1960, als Caterina Valente und Silvio Francesco mit "Itsy Bitsy Teenie Weenie Honululu Strand Bikini" 18 Wochen die deutschen Schlager-Paraden beherrschten. Bei der Recherche von Herbert Knorr unterstützt, dessen Kindheit genau zur Romanzeit stattfand, läßt Karin Boehm ein buntes, wirklichkeitsnahes Bild einer Dekade entstehen, in der sich Zeitzeugen sofort zurecht- und wiederfinden und aus dem folgende Generationen eine Menge über das Leben vor 50 Jahren erfahren können. Die Welt des von der Kohleförderung bestimmten alten Gelsenkirchen zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal, von Buer im Norden, Schalke in der Mitte bis Erle im Osten wird greifbar, die kleinen Freuden, großen Sorgen und Anschaffungen des Haushalts der Arbeiter-Familie,
Familienfeste, Tauben und erste Ferienfahrten, Streit und Nachbarschaftshilfe, Schulden und die Freude über ein neues Kleid.

Karin Boehm erzählt das unprätentiös, einfach wie es
Tag für Tag tausendfach in zahllosen Familien in den 60er Jahren geschehen ist. Da geht es um das Baden im Kanal, das Spielen auf den Kohlehalden, die Hasenbrote, die heute kaum noch jemand kennt, Rabattmarkenhefte, die Auszahlung des Wochenlohns in der Lohntüte, die ersten Gastarbeiter aus Italien und Connys "Zwei kleine Italiener" (1962). Die erste Familienreise nach Österreich, die Anschaffung des ersten Fernsehers und das erste Auto sind Einschnitte enormen Ausmaßes im Familienleben. Da kommt übriges Frau Malenki ins Spiel, weil sie "zufällig" immer dann an der Türe schellt, wenn der Quizmaster mit der überkämmten Glatze seine Sendung "Hätten Sie´s gewußt?" hat.

Karin Boehm läßt ein Jahrzehnt Revue passieren, das Heintje und die sexuelle Revolution, Freddys "Junge, komm bald wieder" und die "Weyerlinge" genannten Lehrer mit Schnellausbildung brachte, den Stielkamm und das Toupieren der Haare,
die Fußball-Derbys zwischen Schalke und Borussia (damals noch ohne Gewalt), Zechenschließungen und "Was bin ich?" mit Robert Lembke. Im Kino gibt es 1967 die Filme von Oswald Kolle, die natürlich keiner gesehen hat, über die aber jeder spricht, und die Anti-Baby-Pille bringt Fromms Kondomproduktion an den Rand des Ruins. Karin Boehm hat ein wunderschönes Buch geschrieben, das Geschichte so vermittelt, wie es so kein Schulunterricht könnte: unterhaltsam, kundig, direkt, mit leiser Melancholie, liebenswert und mit viel Humor. Eine uneingeschränkte Empfehlung der Musenblätter, ausgezeichnet mit dem Musenkuß.

Beispielbild

Karin Boehm
Frau Malenki liebt Heinz Maegerlein

Roman

© 2006 Henselowsky Boschmann
Bearbeitung: Herbert Knorr

255 Seiten, gebunden, illustrierter Schutzumschlag, Lesebändchen
ISBN 3-922750-21-4
14,90 €

Weitere Informationen unter:
www.ruhrig.de