Eine Komödie, die keine ist

"Fettes Schwein" von Neil LaBute in Essen

von Frank Becker
Schwere Knochen
 


Vier Schauspieler brillieren in einer Komödie, die keine ist
Noch einmal en suite bis zum 28. Februar 2011 im Theater im Rathaus Essen.
 
„Fettes Schwein“
von Neil LaBute
 
Regie: Volker Hesse – Ausstattung: Patricia Walczak – Lichtkonzeption: Rolf Spahn – Musikmitarbeit: Thomas Lutz – Fotos: Bernd Böhner/Dietrich Dettmann
Besetzung: Martin Lindow (Tom) – Katrin Filzen (Helen) – Benjamin Kernen (Carter) – Ragna Guderian (Jeannie)
 
 
Ziehen sich Gegensätze an?
 
Neil LaBute hat sein Theaterstück „Fettes Schwein“, das der zweite Teil einer Trilogie über die

Katrin Filzen, Martin Lindow - Foto © Bernd Böhner
Schönheit ist, als Komödie bezeichnet. Zumindest weist das Programmheft es als solche aus. Der Gast kann spätestens ab Szene 5, in der das heimliche Glück eines ungleichen Paares perfekt zu sein scheint, daran nicht mehr glauben. Denn Unbehagen steigt beim Betrachter auf, das sich von Szene zu Szene tiefer einnistet. Der Plot: In der Mittagspause lernt ein gutaussehender, sportlicher, dynamischer Mann in den besten Jahren (Martin Lindow als Tom) am Stehtisch eines Imbisses eine wirklich mächtig dicke, sympathische junge Frau (Katrin Filzen als Helen) kennen, deren Lachen ihm gefällt. Er knabbert an einem Salat, sie vertilgt drei Stücke Pizza, Knoblauchbrot und Pudding. Von nichts kommt nichts. Aus erst flüchtigem, dann neugierigem Geplauder wird schnell ein Flirt.
Martin Lindow glänzt in seiner Rolle als etwas zerstreuter, sich zunehmend für Frau mit der enormen Körperfülle begeisternder junger Geschäftsmann. Sein unsicheres Interesse wirkt echt, der Wunsch, sich verabreden, wird von ihr ohne Zögern angenommen. So einen eleganten Kerl mit Humor wird sie vielleicht nie wieder bekommen können. Katrin Filzen – für eine weit mehr als vollschlanke junge Schauspielerin eine ans Innerste gehende Herausforderung – lebt die Figur der scheinbar in sich und ihrer Fülle ruhenden Helen mutig und beängstigend authentisch.
 
Leidenschaft auf unsicherem Boden
 
Aus dem Flirt wird ein Verhältnis, das Tom gegenüber den Bürokollegen keinesfalls zugeben will, er

Benjamin Kernen, Ragna Guderian - Foto © Dietrich Dettmann
müßte sich unter dem Spott von Carter (Benjamin Kernen), einem wahrhaftigen Arschloch und seiner blendend aussehenden eifersüchtigen Ex Jeannie (Ragna Guderian) zu dieser unglaublich dicken Freundin bekennen. Das kann er nicht, noch nicht. Und: will er überhaupt? Denn das „wir“ komm ihm unendlich schwer von den Lippen. Ja, doch, er glaubt, daß er es will. Aber Klatsch ist schneller als der Wind und bald hat Carter das Gerücht gestreut, Tom habe eine neue Braut – nur wer sie ist, muß noch eruiert werden. Neugier ist eine starke Triebfeder, Oberflächlichkeit und Vorurteile eine bekannte Basis für Schmutzkampagnen und so kann es nicht lange dauern, bis das von Carter und Jeannie als Mesalliance empfundene Verhältnis bekannt und Bürogespräch wird. Tom muß sich der allgemeinen Häme stellen und sich bekennen, was er defensiv auch tut, wenn auch zurückhaltend. Hier fällt erstmals das „wir“: „Laßt uns doch endlich mal in Ruhe!“. Lindow balanciert meisterlich auf einem ganz schmalen Grat der Unsicherheit, Verunsicherung. Er verteidigt sich und seine Leidenschaft (nicht Liebe) für Helen zwar vehement, aber ohne wirkliche Überzeugung. Man spürt es in den Fingerspitzen: hier ist einer allem frommen Wunsch entgegen todunglücklich mit dem eingeschlagenen Weg.
 
Eine Komödie, die keine ist
 
Anders Helen, die sich Tom ganz, vielleicht sogar aus einer gewissen verzweifelten Hoffnung  gibt,

Lindow, Guderian - Foto © Dietrich Dettmann
wenn auch mit dem von ihm nicht deutlich genug weggewischten Unsicherheitsfaktor des ständig wie das Schwert des Damokles über ihren Köpfen hängenden „Vielleicht“.  Die deutschen Texte, vor allem die Dialoge Tom/Carter und Tom/Helen sind von Frank Heibert unerhört einfühlsam und mit feinster Beobachtung vor allem der männlichen Psyche verfaßt. Die Pointen und Lacher, die zu Beginn aus der Geschichte tatsächlich eine Komödie zu machen scheinen, sind spritzig und punktgenau angelegt, und trotz mitunter recht derber Sprache entwickelt sich anfangs ein wohlkalkuliertes zartes, ja zauberhaftes Kammerspiel. Das schlägt aber bald und spürbar um, man steckt mit den Protagonisten durch ihr dichtes Spiel mitten in einem sich zuspitzenden psychologischen Drama, als dessen erster Höhepunkt einem Carters Solo über seine peinlich dicke Mutter das Herz zerreißt. Von hier an wiegt man jedes folgende Wort, jeden Dialog, jede Emotion noch sorgfältiger. Wie Tom/Lindow Mal um Mal eine echte Liebeserklärung vermeidet, ist meisterhaft in Szene gesetzt. Das Ensemble, das auf nahezu leerer Bühne, einer schrägen Ebene (sic!) spielt, läßt keine Möglichkeit aus, spielt sich die Seele aus dem Leib.
 
 Ein Haufen Verlierer – unter dem Strich: eine Tragödie
 
Ein Haufen unglücklicher Verlierer irrt über die Szene: Tom, der sich nicht zu seiner dicken Freundin bekennen kann, weil er es im Grunde gar nicht will, sich stets mit ihr versteckt, auch in intimen

Lindow, Kernen - Foto © Dietrich Dettmann
Situationen ängstlich Abstände aufbaut, immer deutlicher spüren läßt, daß eine ganze Welt zwischen ihnen steht und der sie am Schluß wegen dem Gerede „der Leute“ verlässt; Carter, der aus eigener Unsicherheit alles um sich herum in den Dreck zieht („Wer hat denn gesagt, wir sind auf der Welt um nett zu sein? Wir hassen, wovor wir Angst haben, weil wir so sein könnten: Schwuchteln, Idioten, Krüppel, Fette, Alte.“) und der unter seiner Unzulänglichkeit und der Unfähigkeit, seine fette Mutter zu lieben leidet wie ein Tier; Jeannie, die 33 Jahre alt ist, immer nur Trostpreise abbekommen hat und hasserfüllt nicht begreifen kann, wieso er nicht sie nimmt, sondern „so ein fettes Schwein (Speckschwarten-Ficker, Miss Piggy-Popper!)“; schließlich Helen, die oberflächlich betrachtet, mit ihrem Leben ausgesöhnt scheint, aber unendlich unter ihrer selbst verschuldeten Leibesfülle leidet, sich sogar für Tom ändern will – fraglich, ob das die Lösung wäre. Die Fäden, die gesponnen werden, welche die Menschen miteinander verbinden, sind hauchdünn. Ein Mann hat es geschrieben, ein Mann hat es übersetzt - Martin Lindow und Benjamin Kernen sind fraglos die zentralen Figuren dieser mitreißenden Inszenierung. Aber: vier wunderbare Schauspieler, vier maßgeschneiderte Rollen, ein großartiger Abend. Sollte man nicht versäumen.
 
Noch einmal en suite bis zum 28. Februar 2011 im Theater im Rathaus Essen.

Termine und Informationen unter:  www.theater-im-rathaus.de und: www.landgraf.de