Als Verbrechen noch Aufsehen erregten

"True Crime" im Emons Verlag

von Frank Becker
Als Verbrechen
noch Aufsehen erregten
 

Es braucht heute schon den veritablen Amoklauf eines jugendlichen Massenmörders, einen illustriertengerecht menschenfressenden Lustmörder á la Hannibal Lecter oder eine ans Herz greifende Entführungsgeschichte, bei der beinahe bis zum Erbrechen Hunderte Male das unschuldige Gesicht eines süssen kleinen Mädchens im Slow Motion-Familienfilm über die Fernsehschirme flimmert, damit die sensationsgierigen Medien und ihre von Mord, Überfall und Drogenexzessen "verwöhnten" abgestumpften Konsumenten Verbrechen überhaupt noch zur Kenntnis nehmen. Die Kriminalität ist in unserem Alltag allgegenwärtig geworden, die brutale Gewalt des Abschaums unserer Gesellschaft an der Tagesordnung, der Respekt vor Leib, Leben und persönlichem Gut ganz offenbar kaum noch einen Pfifferling wert. Die Polizeien hecheln - ihre mögliche beschämende Niederlage stets vor Augen - wie schon immer einen großen Schritt hinter den Tätern her, die sich dank offener Grenzen, leicht verfügbarer Waffen und Tatmittel und der juristischen Hemmnisse, die sich den Ermittlungsbehörden auch durch schamlos auf Seiten der Verbrecher agierender "Rechts"-Anwälte in den Weg stellen, gelassen zeigen können. Verbrechen hat es immer gegeben. Doch heute beginnt es sich auszuzahlen - die Ausmaße der von einem hilflosen Staat beinahe schulterzuckend geduldeten Woge von Kriminalität, die ungehemmt auch in den Bereich des Banken- und Vorstandswesens eingedrungen ist und sich dort schamlos das Mäntelchen der Biederkeit umhängt, sind erschreckend. Eine juristische Immunschwäche hat unser Gemeinwesen bis ins Mark geschwächt.
 
Natürlich waren die Verbrecher der Vergangenheit nicht einen Deut "besser" oder "moralischer" als die von heute, doch scheint die Frequenz, die Schlagzahl höher geworden zu sein. Von einigen Kriminalfällen, die in den 60er bis 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Öffentlichkeit in Österreich und Deutschland (West) bewegten, erzählt eine neue Reihe des u.a. durch sein ausgesuchtes Regional-Krimi-Programm bekannten Kölner Emons Verlages. Unter dem Serientitel "True Crime" werden Fälle aufgerollt, die den Kriminalisten damals ganze Arbeit abverlangten und die durch ihre Tatumstände zu ihrer Zeit Aufsehen erregten. Die verflossene Zeit läßt die Fälle beinahe antiquiert erscheinen, wenn auch die grundlegenden menschlichen Emotionen als Auslöser heute so gültig sind wie damals. In "Ein Mord genügt" berichtet Nicolette Bohn über neun Kriminalfälle, die zwischen 1960 und 1975 durch die nordrhein-westfälischen Gazetten gingen. Mord und Inzest, Gewalt und Verzweiflung offenbaren die anscheinend aus dem hölzernen Amtsdeutsch der damaligen Ermittlungsakten übernommenen Texte, die aber auch erkennen lassen, daß Tat und Täter in einem gesellschaftlichen Kontext standen, der sich von den heutigen Verhältissen wesentlich unterschied. Das Erschrecken über eine  wie auch immer motivierte Gewalttat war offensichtlich größer, ihre Aufklärung mit den damals noch höchst bescheidenen kriminalistischen Mitteln ein Anliegen, das weite Kreise der Bevölkerung wirklich bewegt. Ein wenig sorgfältiger hätte das Lektorat arbeiten dürfen, denn eine "Nacht vom 31.8.1960 zum 1.9.1960"  ("Ein Mord genügt, S. 31) müßte auffallen.
 
Die Autorinnen graben nicht nur in der Vergangenheit und alten Akten, sondern decken auch
Parallelen zu heutigen, aktuellen Fällen auf, zeigen, daß die Phänomene an sich durchaus nicht neu sind, und belegen, daß "das Böse immer und überall" ist (danke, EAV). Womit wir nahtlos den Übergang zum zweiten hier vorgestellten Band gekommen sind: "Die Macht des Bösen". Helga Schimmer  - wiederum befaßt sich eine Frau mit dem gesellschaftlichen Phänomen der kriminellen Gewalt - untersucht eine Beziehungstat und ein mysteriöses Verbrechen mit potitischem Hintergrund sowie sehr ausführlich einen der aufsehenerregendsten Fälle der Alpenrepublik nach 1945: den Fall Dostal/Dvorak, der 1973 zur umfangreichsten Personenfahndung der österreichischen Kriminalgeschichte führte und bei dem viel Blut geflossen ist. Helga Schimmer wirft in Nachhinein alte, nie beantwortete Fragen nach eventuellen politischen Zusammenhängen auf - kann diese Knoten jedoch ebenfalls nicht auflösen. Einige Zahlenfehler in "Die Macht des Bösen" stören, wenn die Tausender weggelassen werden und einVerbrecher sich u.a. in die Schweiz begibt, um sich im stolzen Besitz von 125 (!) Franken (S. 135) seines Nummernkontos aus dem Staub zu machen. Doch die Aufdeckung der NS-Vergangenheit des damaligen österreichischen Innenministers Otto Rösch hat eine gewisse Pikanterie und lohnt allein die Lektüre und auch die entsetzliche Unprofessionalität der beteiligten  Polizeibehörden ist es wert, zur Kenntnis genommen zu werden.
 
Die quasi Einlösung einer literarischen Vorlage des Haupttäters durch eine später von ihm gegründete verbrecherische Vereinigung dürfte in der Kriminalgeschichte einmalig sein. Die beiden  Bücher sind nicht nur für Zeitzeugen - für diese jedoch besonders - von hohem Informationswert, denn alleine zu sehen, unter welch unwürdigen Arbeitsbedingungen die Polizei damals ermitteln mußte, ist erschütternd. Wenn in NRW auch heute noch 35 Jahre alte (!) analoge Funksprechgeräte im Ensatz sind, haben doch Gentechnik und moderne Spurensicherungsverfahren enorme Verbesserungen gebracht. Der Emons Verlag setzt mit seinem Herbstprogramm 2009 die Reihe historischer Kriminalfälle fort.
 
Nicolette Bohn - "Ein Mord genügt" - Neun wahre Kriminalfälle aus den 60er und 70er Jahren, 2009 Emons Verlag, 192 S., Broschur, 9,90€
 
Helga Schimmer - "Die Macht des Bösen" - Wahre Kriminalfälle aus Österreich, 2009 Emons Verlag, 191 S., Broschur, Namensidex und Literaturverzeichnis, 9,90 €
 
Weitere Informationen unter: www.emons-verlag.de