Eliten? Ja bitte!

Ein Essay zum Mendelssohn-Jahr 2009

von Burkhard Vesper

Felix Mendelssohn-Bartholdy
Eliten? Ja bitte!!
Zum Beispiel die Familie Mendelssohn (-Bartholdy)
 

2009 ist kulturell ein spannendes Jahr: wir feiern in diesen Tagen nicht nur den 100. Geburtstag der humoristischen Identifikations-Figur der Nachkriegs-Deutschen schlechthin, Heinz Erhardt, sondern auch den 200. Geburtstag eines der größten und für die Musikgeschichte nach ihm wichtigsten Komponisten, Interpreten und Dirigenten: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Allerdings verhält sich die Aufmerksamkeit gegenüber diesen beiden so unterschiedlichen Gestalten in Presse, Funk und Fernsehen umgekehrt proportional zu ihrem dauerhaften Beitrag zur abendländischen Kultur: bei allem Respekt für Erhardts verschmitzte Sottisen zu nahezu allen Lebenslagen steht der Mega-Aufwand zu seinem Gedenken in einem bedenklich übermächtigen Verhältnis zu dem fast ein wenig verschämt in den Feuilletons versteckten Erinnern an Felix Mendelssohn-Bartholdy nicht nur als einen der ganz Großen der Musikgeschichte, sondern auch als Sproß einer der absoluten Elite-Familien Europas. Dies Unverhältnis des veröffentlichten Gedenkens ein wenig geradezurücken, ist die bescheidene Absicht der folgenden Ausführungen.
 
Angeregt zu diesem Thema haben mich nicht nur die wie gesagt eher wenigen und im Detail auch noch erstaunlich informationsarmen Beiträge zum 200. Geburtstag Felix Mendelssohn-Bartholdys, sondern auch und zunächst die beiden Felix und seiner „großen“ Schwester Fanny gewidmeten Gedenksteine an der Ludwig-Erhard-Straße gegenüber der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis. Ganz in der Nähe, in der „Martens Mühle“, Große Michaelisstraße 14 (die es heute nicht mehr gibt), hat die Familie Mendelssohn während ihrer Hamburger Jahre 1804 – 1811 gewohnt und wurde am 3. Februar 1809 auch Felix geboren. Das Thema „Eliten am Beispiel der Familie Mendelssohn“ halte ich deshalb für interessant, ja wichtig, weil einerseits im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs Eliten ja als verpönt gelten, man andererseits aber z.B. an der Familie Mendelssohn und ihrem berühmten Sohn Felix und dessen kaum weniger berühmtem Großvater Moses sehr eindrucksvoll den ausnahmslos positiven und damit letztlich erforderlichen, weil fördernden Einfluß von Eliten auf die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft nachvollziehen, ja recht eigentlich erleben kann.
 
Die Mendelssohns beginnen, ins Bewußtsein zunächst des damaligen Königreichs Preußen zu treten, wenige Jahre nach dem Fußmarsch 1743 des 14-jährigen Sohnes Moses eines armen hebräischen

Moses Mendelssohn
Tagesschul-Lehrers namens Mendel von Dessau nach Berlin. Moses wanderte seinem früheren Dessauer Rabbi Fränkel nach, der einige Jahre zuvor eine herausragende Rabbinerstelle in Berlin angenommen hatte. In Berlin lernte Moses (1729 – 1786), der sich nach seinem Vater Mendel nun Mendelssohn nannte - und nicht Moses ben Mendel, was dem jüdisch-arabischen Sprachgebrauch näher gestanden hätte - zunächst einmal ein fehler- und akzentfreies Hochdeutsch. Die Namenswahl „Mendelssohn“ darf übrigens als ein erstes Indiz der abendländisch-deutschen Orientierung der Familie M. gelten. Bisher hatte Moses lediglich jiddisch gesprochen, diese nuschelnde Mischung aus Polnisch, Deutsch und Hebräisch. Nun lernte er richtig Deutsch, richtig Hebräisch und, weil er gerade so gut in Fahrt war, auch richtig Griechisch und Latein. Bald eilte ihm in der adligen wie der gebildeten Berliner Gesellschaft der Ruf voraus, die deutsche Sprache besser zu beherrschen als die meisten seiner Zeitgenossen. Er begann, sich für die Philosophen früherer Jahrhunderte und seiner Zeit zu interessieren, und verfaßte auch kleine Schriften darüber.
 
Ein gemeinsamer Bekannter brachte Moses, der einen Schachpartner suchte, mit dem gleichaltrigen
 
Gotthold Ephraim Lessing
Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) zusammen, der damals noch nicht Chef-Bibliothekar des Herzogs von Braunschweig in Wolfenbüttel war und auch noch nicht Intendant des damals wie heute größten deutschen Sprechtheaters, des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Sie wurden bald Freunde - und über diese Freundschaft zwei entscheidende Motoren des Rationalismus und der Aufklärung in Deutschland und Europa. Mendelssohn hatte eine philosophische Schrift mit dem Titel „Philosophische Betrachtungen“ geschrieben und (unter anderem Namen) veröffentlicht - eine Schrift, die mit drei Auflagen häufiger verkauft wurde als die meisten Veröffentlichungen seiner Zeit. Ab 1755 gaben er, Lessing und ihr gemeinsamer Verleger Nicolai die Literaturzeitschrift „Briefe über den itzigen Zustand der Schönen Wissenschaften in Deutschland“ heraus, die einen zunehmenden Einfluß auf die Literaturkritik und damit die Literatur selbst gewann.
 
1762 lernte der wegen seines Buckels nicht gerade adonishafte Moses Mendelssohn in Hamburg die hochgewachsene blonde und blauäugige Kaufmannstochter Fromet Gugenheim kennen, der er den Hof machte und die er dann auch heiratete. In diesen Jahren übersetzte er auch zumindest das Pentateuch, die 5 Bücher Mose des Alten Testaments, zum ersten Male ins Deutsche. Luther hatte ja nicht das hebräische Original der Bibel ins Deutsche übertragen, sondern die lateinische „Vulgata“ („für den allgemeinen Gebrauch“ von „vulgus“, das Volk, s. auch „vulgär“, ursprünglich für

Fromet Gugenheim
„volkstümlich“, entstanden ab 382 n.Chr., 1546 auf dem Trientiner Konzil für authentisch erklärt). Im Jahre 1767 erschien Moses’ Buch „Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele“, das nichts anderes war als die Übertragung Platons ins 18. Jahrhundert und das sehr schnell das meistgelesene Buch seiner Zeit nicht nur in Deutschland wurde. Es gab nach wenigen Jahren Übersetzungen ins Englische, Französische, Italienische, Spanische, Russische, Portugiesische, Niederländische  usw..  Die königliche Akademie der Wissenschaften in Berlin hat ihn Friedrich d.Gr. (regierte von 1740 – 1786) zur Aufnahme vorgeschlagen, Friedrich hat aber abgelehnt, u.a. weil er die Juden einfach nicht mochte.
 
In Preußen gab es zu jener Zeit sog. „Hofjuden“, das waren z.B. die Finanzberater und Juristen bei Hofe - mit allen Privilegien eines preußischen Bürgers. Danach gab es die „Schutzjuden“ mit schon sehr eingeschränkten Rechten (für die sie auch noch teuer bezahlen mußten) und nach diesen die einfachen Juden, die de facto rechtlos waren. Moses Mendelssohn, einer der absolut führenden europäischen Köpfe der Aufklärung und damit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, wurde trotz der immer wieder vorgetragenen Einflußnahme wohlwollender Freunde erst durch einen Erlaß Friedrich Wilhelms II. (regierte von 1786  – 1797)  sehr spät wenigstens das Patent eines sog. Schutzjuden verliehen. Sein Enkel Felix hatte übrigens beim sogenannten Judensturm 1829 in Berlin, einem Vorläufer der sog. Reichskristallnacht vom 9.11.1938, den Schimpfruf „Hep hep, Judenjung“ ertragen müssen. „Hep“ war die Abkürzung von „Hierusalema est perdita = Jerusalem ist kaputt“  -  und wird ja z.T. heute noch, hoffentlich aus Unkenntnis, immer noch in „aufmunternder“ Absicht gerufen.
 
Lessing hatte Jahre zuvor ein Schauspiel „Der Jude“ herausgebracht, das von der Kritik arg verrissen wurde. Im Großen und Ganzen war das Stück vom Stoff seines späteren „Nathan der Weise“. Unter dem Eindruck seiner Beziehung zu seinem Schachpartner Moses Mendelssohn hat Lessing den „Juden“ umgeschrieben und als „Nathan der Weise“ neu gefaßt: z.B. sind ja die wesentlichen Szenen mit Saladdin und Nathan Schachspiel-Szenen….. „Nathan“ wäre ohne Mendelssohn so nicht entstanden, und die gesamte gebildete Welt wußte, wer die personelle Vorlage zu Lessings Nathan war. Insgesamt war Moses Mendelssohn zu seiner Zeit ein sehr gefragter Mann, es galt als hohe Auszeichnung, von ihm empfangen zu werden. Moses hat damit innerhalb einer, nämlich seiner Generation den Grundstein für eine Elite-Familie gelegt, deren Einfluß auf das Geistesleben im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
 
Hier nun in Stichworten die weitere Entwicklung der Familie (und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit): Moses und Fromet hatten 6 Kinder, u.a. Joseph, der die Mendelssohn-Bank gründete, eine der bedeutendsten europäischen Banken neben den Rothschilds, den Heines (Heinrich Heines Onkel Salomon Heine in Hamburg, bis heute das Heine-Haus am Jungfernstieg) und wenigen anderen. Erst die Nazis haben es 1939 geschafft, daß die Bank liquidiert werden mußte.
Abraham, ebenfalls ein (in Paris) gelernter Bankier, der, bevor er seine Lea Salomon heiraten wollte, erst zum Partner seines Bruders Joseph gemacht werden mußte, weil ein Angestellter als Schwiegersohn für die Familie seiner Braut unter deren Stande gewesen wäre. Während der Hamburger Phase der Familie - 1804 bis 1811 -  war Hamburg einige Jahre von Napoleons Franzosen besetzt und litt als Handelsstadt besonders unter der von diesem verhängten Kontinentalsperre gegen England. Illegaler Handel und Schmuggel blühten, und Abrahams

Dorothea Mendelssohn
Mendelssohn-Bank hat als Teilnehmerin dieser „Märkte“ ein sehr beträchtliches Vermögen gemacht.
Weitere Moses-Kinder waren Nathan, späterer Naturwissenschaftler und Techniker, der in Berlin die „Polytechnische Gesellschaft“ mitgründete und in Schlesien große Textil- und Maschinenfabriken leitete, und Dorothea, eine der ersten emanzipierten Frauen der Gesellschaftsgeschichte auf deutschem Boden, die sich an kaum irgendeine bürgerliche Konvention hielt und mit Friedrich Schlegel zusammenzog, der gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm Schlegel (Philologe, zunächst Mitarbeiter Schillers, seit 1798 Prof. in Jena), mit Novalis (Pseudonym des Friedrich von Hardenberg), Fichte und  Ludwig Tieck (bis heute maßgeblich: die Shakespeare-Übersetzungen von Schlegel/Tieck) von 1798 bis 1800 die Zeitschrift „Athenäum“ herausgab, in der auch Schiller veröffentlichte und durch die die Literatur und Philosophie der Romantik begründet wurde.
 
Die Romantik - in der Literatur Früh- oder auch Jenaer Romantik mit den Genannten, Hochromantik von ca. 1804 bis 1815 mit den Schwerpunkten Heidelberg und Berlin und Namen wie von Arnim, Brentano, den Göttinger Professoren-Brüdern Grimm  und E.T.A. Hoffmann,  Spätromantik nach

Wilhelm Müller
1815  im
Schwäbischen mit Uhland, Schwab, Hauff, Kerner und Wilhelm Müller, dem Haupt-Lieferanten der Texte für die Lieder von Franz Schubert - die Romantik also ist eine einzige Geschichte von Eliten und deren unverzichtbarem und nicht wegzudenkendem Einfluß auf die Kultur einer Gesellschaft, in diesem Falle sicher nicht zu hoch gegriffen, sogar der abendländischen Menschheit, zumindest der europäischen: Die Brüder Schlegel begründeten die Literaturwissenschaften, die Göttinger Professoren-Brüder Grimm die Germanistik (und sammelten die nach ihnen benannten Märchen und schrieben das erste etymologische Wörterbuch), der ebenfalls in dieser Zeit lebende Jurist Savigny begründete die moderne Rechtswissenschaft, und der Reichtum der romantischen Musik und Malereiüber weite Strecken des 19. Jahrhunderts ist kaum zu überblicken. Die meisten der Akteure kannten einander und standen in einem fruchtbaren geistig-literarisch-philosophischen Austausch: Eliten pur in einer Breite, wie sie zu kaum  einer anderen Epoche anzutreffen war. In dieser Zeit entstanden und blühten auch die (Berliner) Salons z.B. einer Rahel Varnhagen van Ense oder der Dorothea Mendelssohn (viel später verheiratete Schlegel), die sich (die Salons wie die Damen) einer weitverbreiteten Attraktivität erfreuten und die das Gedankengut der Romantik und anderer philosophischer Richtungen verbreiteten und festigten.
 
Besonders herauszuheben aus der Familie Mendelssohn: Moses’ Sohn Abraham („ich bin ein menschlicher Bindestrich: Sohn eines berühmten Vaters (Moses) und Vater eines berühmten Sohnes“ (Felix) und seine Familie, der sich auf Grund der Einflußnahme eines ebenso reichen wie exotischen Verwandten (Bartholdy) anläßlich der Konversion seiner Familie zum Protestantismus Mendelssohn-Bartholdy nannte. Felix hatte früh alles gelernt, was die „höheren Kinder“ seiner Zeit üblicherweise lernten: Musik (bei ihm waren es Klavier und Geige, beide auf höchstem Konzertniveau), Zeichnen, mindestens 3-4 Sprachen usw. Als 12-jähriger durfte er Goethe am Klavier vorspielen, wobei er bereits weite Teile der Werke von Bach, Mozart, Beethoven und anderen auswendig „drauf“ hatte und darüberhinaus sehr brillant im Bach‘schen oder dem Stil der Wiener Klassik (grob definiert ist das die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Musik, entspricht zeitlich dem Rokoko in der Architektur und Malerei und der Aufklärung in der Philosophie) improvisieren konnte. Goethe (1749-1832) kannte Mozart (1756-1791) und Mendelssohn (1809-1847) als berühmte Wunderkinder ihrer Zeit. Sein vergleichender Kommentar: „Mendelssohns frühreife Leistungen (am Klavier) verhielten sich zu Mozart … wie die ausgebildete Sprache eines Erwachsenen zu dem Lallen eines Kindes“.
 
Mendelssohns erste eigene Kompositionen von Rang sind ein Oktett (= Doppel-Streichquartett), das er mit 16 Jahren schrieb, und die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“, die er 17-jährig
 
Carl Friedrich Zelter
schrieb. Seine „Grand Tour“  durch Europa regte ihn an zu seiner „Italienischen“ Symphonie, seiner „Schottischen“ Symphonie, zu der Hebriden-Ouvertüre und zu anderen Kompositionen. 20-jährig, also 1829, bat er seinen langjährigen Lehrer Carl Friedrich Zelter (1758 – 1832, einen engen Brieffreund Goethes und  Leiter der Berliner Singakademie), um eine Kopie seiner Partitur von Bachs Matthäus-Passion, die er zu deren 100-jährigem Uraufführungs- Jubiläum (Karfreitag 1729 in der Leipziger Thomaskirche) nun in Berlin aufführen wollte. Bach kannte zwar jeder, aber er wurde so gut wie nicht mehr gespielt. Seine Söhne Johann Christian (der Londoner) und Carl-Philipp-Emanuel  (Patensohn des Johann-Sebastian-Freundes Telemann und dessen Nachfolger als Kantor am Hamburger „Michel“) waren einfach häufiger auf den Programmen. Zelter hat diesen „aberwitzigen“ Wunsch abgelehnt mit der Begründung, 4 Stunden Passion (in Bachs Ur-Fassung) seien keinem Publikum zuzumuten, außerdem sei die Passion so extrem schwierig, daß man sie praktisch gar nicht aufführen könne.
 
Felix hat ihn am Ende weichgeklopft und hat, nachdem er mit Freunden sämtliche Einzelstimmen für Solisten, Chor und Orchester in hinreichender Zahl aus der Partitur (natürlich von Hand mit Gänsekiel und Tinte) kopiert hat,  nach einigen Kürzungen und der Instrumentierung der von Bach lediglich für Orgel solo komponierten Vorhang-Szene und nach vielen unendlich langen und schwierigen Proben die Matthäus-Passion Karfreitag 1829 mit nachgerade triumphalem Erfolg wiederaufgeführt, was zahlreiche weitere Aufführungen in Berlin, Königsberg und anderen Städten  nach sich zog und was zu der Bach-Renaissance geführt hat, die wir seitdem und bis heute erleben. Bei der Aufführung der Singakademie am Karfreitag 1829 reichte der riesige Saal der Akademie für das erschienene Publikum nicht aus, die Saaltüren mußten geöffnet und draußen weitere Sitz- und Stehplätze geschaffen werden.
 
Überhaupt hat Felix Mendelssohn-Bartholdy zu seiner Zeit einen größeren Einfluß auf das Musikleben seiner Zeit gehabt als ein Mozart, ein Bach, ein Beethoven oder wer auch immer. Er war es, der das Solo-Dirigat durchgesetzt hat - bis dahin dirigierte ein Geiger die Geigen, ein Trompeter das Blech, andere ihre jeweils eigene Instrumentalgruppe, und wenn der Komponist im Publikum saß, mischte
 
Louis Spohr
der manchmal auch noch mit. Dann hat Felix den Taktstock „erfunden“, der sich aus einer Notenrolle oder auch mal einem Geigenbogen entwickelt und den vor ihm lediglich Louis Spohr einmal benutzt hat. Felix ist auch der eigentliche Promotor der Open-Air-Musik-Festivals (sein Feld damals u.a. die Düsseldorfer Musiktage, wo er 1833 bis 1835 Chefdirigent war). Er hat Schumann und Schubert durch vielfache Aufführungen, z.T. durch Ur-Aufführungen ihrer Werke geholfen, populär zu werden. Seine größten Erfolge feierte er als Chef des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig, benannt nach deren Konzertgebäude, der vormaligen Börsenhalle der Tuchhändler seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Berühmte Nachfolger in diesem Amte waren u.a. Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler und  Kurt Masur. In Leipzig hat Felix auch das erste Konservatorium überhaupt gegründet, die heutige Musikhochschule, wie auch im (ungeliebten) Berlin, wohin er zwischenzeitlich einem Ruf Friedrich Wilhelms IV. (regierte von 1840 – 1861) gefolgt war, der aus Berlin (neben London und Paris) eine weitere europäische Kulturmetropole mit Felix Mendelssohn als musikalischem Aushängeschild machen wollte.
 
Felix Mendelssohn-Bartholdy war - und ist bis heute - insofern eine einmalige Erscheinung in der Musikgeschichte, als es diese vollendete Trinität von Komponist, Interpret und Dirigent in einer Person vorher und nachher nicht gegeben hat. Er war ein Weltbürger der Musik: in England z.B. wurde er mindestens so verehrt wie in Deutschland, seine Konzerte in London waren so populär wie heute allenfalls Pop-Konzerte, er verkehrte mit allen Komponisten seiner Zeit, vor allem auch den
 
Richard Wagner
französischen. Seine Musik wurde und wird heute noch als vollkommen empfunden, weil seine Melodien so übergangslos „ins Blut“ gingen und gehen: der „Hochzeitsmarsch“, die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“,  alle vier Sätze der „Italienischen“ Symphonie und viele andere. Dem ausgewiesenen und bekennenden Antisemiten Richard Wagner blieb es vorbehalten, mit seiner gegen Felix Mendelssohn-Bartholdy gerichteten Schrift „Über das Judenthum in der Musik“ ein Pamphlet zu veröffentlichen, das als ein Wegbereiter für das Verbot Mendelssohnscher Musik während der Nazi-Zeit zu gelten hat. Der Wirkung und Bedeutung Mendelssohns und seiner Musik konnte diese Schmiererei glücklicherweise nichts anhaben.
 
Felix Mendelssohn hat relativ lang gesucht, bis er seine geliebte Frau gefunden hatte: Cecile Jeanrenaud, eine Hugenottin, deren Mutter ihrerseits aus einer der führenden Familien Frankreichs stammte. 5 Kinder sind aus dieser Ehe hervorgegangen. Seine Schwester Fanny M. hat Felix über alles geliebt, sie, die gemeinsam mit Clara Wieck (Tochter des Lehrers von Robert Schumann, die dieser dann auch ehelichte) die erste pianistische Solo-Persönlichkeit weiblichen Geschlechts
 
Cecile Jeanrenaud
überhaupt war. Das intensive und unvorstellbar arbeitsreiche Leben, das Felix Mendelssohn-Bartholdy trotz aller Begabung führte, hatte seine körperliche Konstitution letztlich überfordert. Als seine geliebte Schwester Fanny starb, zerrannen sein Lebensmut und seine Widerstandskräfte. Er starb 38-jährig am 4. November 1847 in Leipzig, von wo aus er seine unauslöschlichen Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen hatte. Das Denkmal, das ihm dort, am „Mendelssohn-Ausgang“ von Bachs Thomaskirche, vor kurzem in Marmor und Bronze originalgetreu wiedererrichtet wurde, ist eine Replik des von den Nazis zerstörten Originals. Das Denkmal Johann Sebastian Bachs vor dem heute als Haupteingang benutzten Eingang der Thomaskirche verdankt sich der Initiative Felix Mendelssohn-Bartholdys, der wie kaum ein anderer Komponist nach Bach dessen polyphonische Kompositionsweise aufgenommen und weiter gepflegt hat.
 
Aus dem ungeheuer umfangreichen Gesamtwerk Mendelssohns gelten u.a. die folgenden als Hauptwerke: die Oratorien „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846, u.a. mit dem wunderschönen

Fanny Mendelssohn
5-stimmigen Chor „Der Herr hat seinen Engeln befohlen über Dir…“), insgesamt 5 Symphonien (darunter Nr. 3 a-Moll die „Schottische“ und Nr. 4 a-Dur die „Italienische“), in der er seinen väterlichen Freunden und Förderern Goethe und Zelter ein unsterbliches Denkmal setzte, indem er das von Zelter vertonte Goethe-Gedicht „Es war ein König in Thule…“  zum Hauptthema des 2. Satzes „Andante con moto“ gemacht hat) Orchesterwerke wie z.B. die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“, die „Hebriden“-Ouvertüre oder „Meeresstille und glückliche Fahrt“, das Violin-Konzert e-Moll, das Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll, das er 1830 gelegentlich seiner Italienreise für die gerade einmal 17-jährige Pianistin Delphine v. Schauroth gleichsam als Liebeserklärung schrieb, das Klavierkonzert Nr. 2 d-Moll, das u.a. dadurch auffiel, das es „durchkomponiert“ war, also ohne Pausen zwischen den drei Sätzen (es gab weitere Klavierkonzerte, darunter eines für 2 Klaviere, die Felix allerdings selbstkritisch nicht selbst veröffentlicht hat, sondern die erst aus seinem Nachlaß veröffentlicht wurden), ferner zahlreiche Klavierwerke, darunter die „Lieder ohne Worte“und vieles andere mehr.
 
Das Jahr 2009 bietet anläßlich des 200. Geburtstages Felix Mendelssohn-Bartholdys eine Menge Jubiläumskonzerte. Der interessierte Zeitgenosse wird darunter sicher eines finden, welchem zuzuhören allemal eine Bereicherung sein wird.


© 2009 Burkhard Vesper
Redaktion: Frank Becker