Zu Gast

Eine Ausstellung im Deutschen Klingenmuseum Solingen

von Frank Becker
Zu Gast

Das Deutsche Klingenmuseum Solingen lädt ein

Eine komplexe und unterhaltsame Ausstellung
erzählt noch bis zum 13. April
die 4000 Jahre alte Geschichte des Gastgewerbes

Wo wäre eine Ausstellung zu diesem Thema besser aufgehoben, als in der deutschen Klingenstadt. Hier werden die edlen Bestecke hergestellt, die u.a. den Ruf der Stadt in aller Welt begründen. An den Feuern derUrzeitmenschen kannte man noch keine Bestecke, ganz zu schweigen von Tischsitten. Doch ich bin sicher, auch zu dieser im Dunkel der Vergangenheit liegenden Zeit gab es Gäste und Gastgeber. Wann die Bewirtung zum vielseitigen Gewerbe wurde und wie sich dieses Gewerbe entwickelt hat, versucht die Ausstellung, die in Zusammenarbeit des Klingenmuseums mit dem Stadtmuseum Erfurt und dem Museum August Kestner Hannover konzipiert wurde, ihren Besuchern zu vermitteln.

Wer was wird, wird Wirt

Das jedenfalls behauptet der aufwendige Katalog zur Ausstellung auf seiner Rückseite im
 
Reisebesteck (Mundzeug) Thurn u. Taxis, Augsburg 1785
Foto: Klingenmuseum
Solingen
diametralen Gegensatz zu der bekannten schmähenden Redensart "Wer nichts wird, wird Wirt - wer noch weniger wird, wird Bahnhofswirt". Und in der Tat hat die positive Beleuchtung des Themas und Berufsstandes einiges für sich, denken wir nur an Lorenz und Hedda Adlon, Eduard und Anna Sacher, an César Ritz/Auguste Coffier und an Antonia Pichler, die das mittlerweile seit drei Generationen von der Familie Peter geführte Hotel "Weißes Rössl" am Wolfgangsee gegründet hat - Legenden des Gastgewerbes. Doch hier befinden wir uns ja schon in der Neuzeit. Die Ausstellung "Zu Gast" gräbt tiefer, sozusagen archäologisch nach den Fundamenten. Damit ist nicht Mittelerde gemeint, wenn auch Hardy Eidam im einleitenden Kapitel ausgerechnet mit der Gesellschaft der Hobbits die Betrachtungen beginnt.

Stele des Bierkammerverwalters, Ägypten
19. Jh. v.Chr.  - Hannover Museum Kestner -
Foto: Klingenmuseum
Solingen

Die Sachautoren des analog zur Ausstellung durchaus wissenschaftlich angelegten und aufgebauten Katalogs haben eine Menge mehr zu bieten. Ur, Mesopotamien, Uruk, Babylonien, Assyrien, Lagasch und die alt-ägyptischen Reiche - seit Jahrtausenden vergangene Königreiche und Stadtstaaten. Wir wissen, daß es sie gab - die Autoren wissen mehr. Aus
Ausgrabungsfunden, Münzen, historischen Dokumenten, Bildern, Reliefs, Opfergaben und Gebrauchsgegenständen aus vier Jahrtausenden haben sie ein Bild des Gastgewerbes entworfen, wie es so kompakt und umfassend bislang noch nicht dokumentiert wurde. Trinkgefäße und Bestecke, Küchengeräte, Amphoren und Humpen, Münzen, Tischordnungen, grobe Becher und edle Gläser, Menükarten und eine Vielzahl von Zeichnungen, Drucken, Stichen und Fotos lassen ein lebendiges Bild des ältesten - oder zweitältesten? - Gewerbes der Welt entstehen. Wobei beide, das wird ebenfalls deutlich, durchaus seit jeher miteinander zu tun haben. Entsprechende fast 4000 Jahre alte Funde aus Uruk (heute Irak), lassen daran keinen Zweifel. Aber das ist nur ein pikantes Streiflicht.

Sei wilkommen, Fremder

Weit interessanter sind bildliche Darstellungen von Gastmählern und Bewirtungen, Aufzeichnungen

Giftmesser, Frankreich 16. Jh. - Klingenmuseum Solingen
über Speisen und Getränke, Kataloge, Eßsitten und Preise. Hier lassen die Ausstellungsstücke intimste Blicke in das tägliche Leben zu, berichten vom Rang des Gastes, von den Umständen und der Einkehr auf Reisen und der Eleganz vornehmer Cafés. Natürlich kann ein solcher historischer Aufriß bei weitem nicht auf die Vielzahl von Markennamen, Firmen, Beherbergunsbetriebe, Cafés, Restaurationen, Namen und Künstler eingehen, die mit der Materie verbunden sind. Dafür gibt es unerhört viel spezielle Literatur, zu deren Lektüre hier mancher Anstoß gegeben wird. Um einen Eindruck von der getroffenen Auswahl zu geben, hier die Überschriften der Hauptabschnitte des Katalogs:
1. Sei willkommen, Fremder! - Gedanken zur Kulturanthropologie des Gastes
2. Unsere Leber ist glücklich, unser Herz erfreut... - Zum Gastgewerbe im alten Orient
3. Verbringe einen perfekten Tag - Gastlichkeit für Lebende und Tote im Alten Ägypten
4. Sei gegrüßt und trinke wohl! - Essen und Trinken in der Antike
5. Prost Mahlzeit! - Gaumenfreuden des Mittelalters und der frühen Neuzeit
6. Vom Klosterschank zur TV-Gastronomie - Was nicht auf der Tageskarte steht
7. Bequem und lecker - Reisen um 1600
8. Wirtin "Schlampampe", Kellner Mager und Barbesitzer Rick - Kurzer Blick in den Gault Millau der Literatur
9. Von der Table d`hôte zu à la carte - Erfurt im Wandel der gastgewerblichen Kultur
10. Der ERfurter Hof - Ein Spitzenhotel im Spannungsfeld von Gastgewerber und Geschichte
11. Streit ums Café Bauer - 1896-1905
12. Essen mit System - im 20. Jahrhundert

Tasse oder Kännchen?

 
Kaffee HAG, Hannover Museum Kestner - Foto: Klingenmuseum Solingen
91 Seiten Katalogteil mit einer Vielzahl überwiegend farbiger Abbildungen und ein Register schließen sich den ebenfalls reich bebilderten Essays an. Die Ausstellung ist weit detaillierter organisiert als die begleitenden Texte. Da gibt es u.a. Abschnitte zur Prostitution im Gastgwerbe, zur Reklame, zum Klischee der für den Gast lebensgefährlichen Mord-Wirtschaft, zum Anschreiben und zur Zechprellerei, zu Personal und Diebstahl und zur Polizeistunde. Ärgern Sie sich auch jeden Sommer in Gartencafés über die blöde Auskunft des Personals "Draußen gibt´s nur Kännchen"? Ich frage dann immer zurück "Ach - und woraus sol ich dann meinen Kaffee trinken?". Sie sehen etliche der hübschen Kännchen - natürlich auch Tassen. Die Klassiker von Heinrich Löffelhardt (1935, Amt für "Schönheit der Arbeit"), Mitropa (1930er Jahre), von Margarete Jahny/Erich Müller (1969-70, RATIONELL VEB Colditz) und Kaffee HAG (1930-40, Tettau und Bauscher, Weiden) sind neben vielen anderen dabei. Die Lektüre des Katalogs lockt zum Besuch der Ausstellung. Bis 13. April 2009 in Solingen, danach in Hannover.


Der reich bebilderte Katalog ist im Museum zu erwerben, kann aber auch bestellt werden: "Zu Gast" - Herausgegeben von Hardy Eidam, Barbara Grotkamp-Schepers, Ulla Heise, Gudrun Noll, Wolfgang Schepers - 255 Seiten, Broschur, zahlreiche Abbildungen, Register, 25,- € (+ 7,- € Versandkosten)

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Zusätzliche Informationen unter: www.klingenmuseum.de