"Blätter... zusammengeweht"

Gedichte und Bilder - Herausgegeben und illustriert von Ulrichadolf Namislow

von Robert Sernatini
Ein gedankenvoller Spaziergang

Gedichte sind geronnene Gefühle, Gedanken. Sie haben einen ganz besonderen Charme, denn sie transportieren mit ihrer Poesie Heiterkeit und Idylle, Frohsinn und Liebe, aber auch Wehmut, ja Schwermut mitunter. Sie reden von Abschied und Vergänglichkeit, von Wachsen und Werden, von Mensch und Natur.

Ulrichadolf Namislow hat Gedichte der Weltliteratur mit dem Schwergewicht der deutschen Dichtung zusammengetragen oder: bleiben wir beim Titel des Buches: zusammengeweht, die das Blatt und seine Schönheit, seinen Schatten und sein Vergehen zum Inhalt haben. Er hat die Texte mit Bildern versehen, die er aus dem kindlichen Herbarium seiner Tochter per Scherenschnitt und Fotokopierer hergestellt hat - ungewöhnliche Transformationen, die sich oft erst beim zweiten Hinsehen erschließen. Die teils witzigen Strukturen der zuvor zwischen Buchseiten gepreßten Blätter geben den toten Blättern die Möglichkeit zu neuer Äußerung. Die Begleitung durch Gedichte ist ein wunderbarer Katalysator dafür.

Einem Originalbeitrag von Sarah Kirsch, welcher der Anthologie vorangestellt ist, entnehme ich ein beherzigenswertes Zitat:
"Ein Buch ist ein Baum mit seinen Blättern. (...) Ein Buch aufschlagen ist oftmals der Beginn einer Lesereise. (...) Kino im Kopp will sich ereignen, unzählige Reisen unter Bäumen stehen ins Haus, die Blättlein auf grünen Füßen/springen zum Tanz."
Was folgt, ist ein Blätterwald-Spaziergang von Sappho (7./6. Jhdt. v.Chr.) bis Cliff Kilian 21. Jhdt.). Dazwischen: Lyriker aus Okzident und Orient: Gottfried Benn, Hafis, Na-Lan Hsing-Dö, Klabund, Peter Rühmkorf, Manfred Hausmann, Joachim Ringelnatz, Karl Krolow, Heinrich Heine, Theodor Storm, Novalis, Friedrich Hölderlin, Joseph von Eichendorff, Ferdinand Hardekopf, Rainer Maria Rilke, Claudianus und vielen anderen mehr.
Der geneigte Leser sollte jedoch beachten: nicht alle Texte sind vollständig wiedergegeben, wie z.B. der folgende Auszug aus „Meine Sträuße“ von Annette von Droste-Hülshoff:

So oft mir ward eine liebe Stund'
Unterm blauen Himmel im Freien,
Da habe ich, zu des Gedenkens Bund,
Mir Zeichen geflochten mit Treuen:
Einen schlichten Kranz, einen wilden Strauß,
Ließ drüber die Seele wallen;
Nun stehe ich einsam im stillen Haus,
Und sehe die Blätter zerfallen.
 
Wenn man das weiß, ist der gedankenvolle Spaziergang durch das Blättermeer ein ungetrübtes Vergnügen.
Beispielbild


Blätter zusammengeweht
Gedichte und Bilder
 
Hrsg. u. Ill.: Ulrichadolf Namislow

© 2008 Reclam Verlag
 
143 Seiten, geb., Format 9,6 x 15,2 cm.
ISBN: 978-3-15-010673-0
 € (D) 6,90

Weitere Informationen unter:
www.reclam.de