Sommerstunden des Lebens (1)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum

© Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Tagebuchblätter und Skizzen
von Gisela von Baum

Liebe Leser,
als mir vor einiger Zeit dieses schmale Bändchen in einem Antiquariat begegnete, nein, besser: als es mich fand, war das Liebe auf den ersten Blick. Nur 48 seelenvolle Seiten, zierlich von der Hand der Autorin illustriert, vom Düsseldorfer Merkur Verlag in seiner Rheinischen Reihe bedachtsam gestaltet und in der entbehrungsreichen Zeit des Aufbruchs 1947 mit viel Sorgfalt hergestellt, ist es ein Dokument der Hingabe zur Literatur, zur Schönheit -  und ein Bekenntnis zur Freiheit und zur Liebe.

Die zarten Reisebriefe der jungen Autorin an ihren Freund Michael haben es verdient, 61 Jahre später noch einmal Leser zu finden. Der Verlag, in dem das hübsche Buch damals erschien, existiert nicht mehr. Die Autorin ist nicht zu ermitteln. Wir haben alle zur Verfügung stehenden Quellen befragt und konnten doch niemanden finden, der uns hätte Auskunft geben können. Wir wollen Ihnen die liebeswerte Geschichte dennoch nicht vorenthalten - von nun an werden wir Ihnen jeden Sonntagmorgen ein Kapitelchen zur Lektüre präsentieren - und hoffen, daß auch Sie Ihr Vergnügen daran finden. Sollten Sie einen Hinweis auf die Autorin oder Rechteinhaber für uns haben, bitten wir um Nachricht.

Ihr Frank Becker


Sommerstunden des Lebens 


Über der blendenden Weite des Beldahnsees steht das glitzernde Mittagslicht. Im Schatten der Erlen auf der vorspringenden Land­zunge liegt neben einem blauen Boot ein schlankes Mädel und zeichnet. Sie fängt die Sommerstunden ihres Lebens, das sie zu den Wassern im Osten, den silbrigen Olivenwäldern gegenüber FiesoIe bei Florenz und in die verschwiegenen Winkel alteritalie­nischer Städtchen führt, in ihr Skizzenbuch ein. Eigentlich ist sie Bildhauerin, aber das Malen und das Zeichnen, das Schreiben und das Träumen gehören auch zu ihr. Als sie damals die Fahrten durch die Sonne einstellen mußte, weil der Weg in das Dunkel begann, da hat diese Künstlerin das gleiche Schicksal aller in Westdeutschland erleben müssen. Sie rettete den Rest ihrer Habe, ihrer Bücher, ihrer Skizzen, ihres Künstler-Handwerkszeugs hinauf in ein großes Zimmer auf Burg Coraidelstein über der Mosel. Als der Klottener Schloßberg, der unter ihren Fenstern so verheißungs­voll reifte, seine Gescheine ansetzte, und der Mandelduft der blü­henden Reben um den Berg stand, da zogen die hellen Segel wandernder Wolken über das Blau des Himmels, und das Tal lag unter den Rebhügeln wie eine glückhafte Verheißung allen freudigen Lebens. Nun aber sitzt die Künstlerin in den grauen Tagen des Novembernebels über dem dunkelnden Fluß und träumt sich zurück in die hellen Stunden ihrer Fahrten durch Schönheit und Stille. Und während die Dohlen um das alte Gemäuer kreisen, und der Ofen tückisch qualmt, zeichnet sie das Erleben nach, das um sie einst wie ein glücklicher Stern ihres Lebens stand. Auf dem Bildhauerbock wartet eine neue Arbeit. Ton und Holz sind Ihr gefügig. Ihre Unruhe in die Weite aber zwingt sie in die Feder: Lieber Michael. . . Und so entstand dieses Tagebuch der Sommer­stunden, und noch manches wird die junge Künstlerin zu sagen haben. Ein Stück dieses Daseins lebt in diesen Skizzenblättern auf, Bilder von Ost und West und viel, was ihre Augen in der Stille des kleinen Lebens und von den Schönheiten ihrer Umwelt sahen. Ob nicht auch ein wenig von der Sommersonne dieser Seiten zu uns strahlt...?



Folgen Sie unserer jungen Freundin am kommenden Sonntag weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!