Nachtmahre

Eugen Egner - "Schmutz"

von Robert Sernatini
Nachtmahre

Seit der Lektüre dieses Buches fühle ich die Nachtmahre des Autors bei mir abgeladen. Sie sitzen auf meiner Brust statt auf seiner, bedrängen mich mit unheimlichen Bildern statt ihn und rauben mir den Schlaf, anstatt ihm den seinen zu nehmen. Eugen Egners neue Erzählungen, bei der kleinen Edition Phantasia in Bellheim verlegt, sind düster, sehr düster. Und zugleich so fürchterlich nah am wirklichen (Er-)Leben und den Alpträumen, die viele von uns umtreiben, daß sie, nein, nicht unter die Haut gehen. Mit Bestürzung stellen wir beim Lesen der beklemmenden kleinen (und einer großen) Geschichte fest, daß sie bereits unter unserer Haut sind!

Acht kürzere Prosastücke sammelt "Schmutz", darunter die Titelgeschichte, im ersten Teil des von Heiko Arntz lektorierten Buches. Sie erzählen von rätselhaften Gegenständen, die mit selbstbestimmter Existenz am eigenen Verstand zweifeln lassen, von einer verwirrenden, nicht faßbaren, letztlich letalen Gegenwelt im winterlichen Schnee, von Schlaflosigkeit, unerklärbaren Geräuschen und Phänomenen, vom Schrecken in öffentlichen Transportmitteln und im Krankenhaus. Frauen entbehren des Weichen, Zarten, Mütterlichen, das uns im realen Leben aus manchem Maelstrom rettet, menschliche Nähe birgt Gefahr - Bilder wie durch schlechte Trips ausgelöst, derilierend im quälenden Wachtraum. Es gibt kein Entkommen.
Egner öffnet Ebenen des Bewußtseins, die man eigentlich nicht betreten möchte. Er tut es mit unnachgiebiger Konsequenz. Lassen Sie mich aus "Schocktherapie" zitieren:
(...) "Mir reicht es!" rufe ich. "Ich will endlich aufwachen!"
Der Passant, der noch immer bei mir steht, rät: "Sie sollten zum Arzt gehen, zu Dr. Flambeau. Der ist Spezialist und kann Ihnen bestimmt helfen. Darf ich Sie zum Abschied umarmen?"
Mit einem Aufschrei laufe ich davon, den Schmerzen in der Brust zum Trotz. Sie werden immer heftiger, bis ich keine Luft mehr bekomme und abermals ohnmächtig werde. (...)

Ohn-Macht, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein. Egners Protagonisten vermögen sich nicht gegen das Grauen, das sie (und den Leser) beschleicht, zu helfen Tod, déja vu und ängstigende Schattenbilder drängen mit der Titelgeschichte in den Verstand. Man möchte sich weigern, sie anzunehmen, doch sie sind von so intensiver Kraft, daß sie Schöne Bilder im Kopf zu verdrängen, ihren Platz einzunehmen in der Lage sind. Findet man zu Erklärungen für die aufgegebenen Rätsel, sind diese noch grauenhafter als die Mysterien selbst. Der Schrecken wohnt im Gewöhnlichen.

Die vielschichtige Traum-Erzählung "Schulfest" nimmt gewichtig den zweiten Teil des Bandes für sich in Anspruch. Wo der Leser bei den ersten acht Geschichten rasch von Grauen zu Grauen, von Schrecken zu Schrecken und von Alp zu Alp gestolpert ist, sieht er sich hier mit einer komplexen Welt miteinander verflochtener Träume konfrontiert, in der sich lianenhaft Hoffnungen und Ängste in unheimlichen Szenen umeinander, um den Protagonisten Immner und letztlich auch um den Leser schlingen. Ein Geflecht, eine Gefangenschaft aus der sich zu befreien nicht möglich ist.
Ein Sog von Erinnerungsfetzen,
Verlustängsten, Neigungen und Ablehnungen zieht den Rezipienten in eine schrecklich düstere Welt von Halluzinationen, Sehnsüchten, Wünschen, zerplatzten Träumen und Enttäuschung. Ist der scheinbar hoffnungsvolle Schluß ein versöhnliches Angebot? Mißtrauen ist bei Eugen Egner angesagt. Er ist ein Fallensteller.
Sie werden dieses Buch lesen, ohne absetzen zu können. Sollten Sie nach der Lektüre Gesprächsbedarf haben, wenden Sie sich bitte nicht an mich - ich habe seither genug mit mir selbst zu klären...
Beispielbild
Umschlagzeichnung: Eugen Egner

Eugen Egner
Schmutz
Erzählungen

© 2007 Eugen Egner
© 2008 für die Buchausgabe: Edition Phantasia, Bellheim

175 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag
17,- €

Weitere Informationen unter:
www.edition-phantasia.de