Andy Goldsworthy: "Schafhürden"

Ein neues großes Landart-Projekt des englischen Künstlers

von Frank Becker

Schafhürden

Ein neues Projekt von Andy Goldsworthy


Seit 1991, als der Verlag Zweitausendeins den englischen Landart-Künster Andy Goldsworthy mit seinem ersten Bildband für das entzückte deutsche Publikum entdeckte, ist die Welt mit einem sanften Ruck ein ganzes Stück schöner - ja, ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten: besser geworden. Die Beschäftigung mit den in brillanten Fotografien dokumentierten Arbeiten Andy Goldsworthys ist pure Kontemplation, weckt tiefe Bewunderung für sein Verständnis der Natur und den einerseits ernsthaften, zum anderen durchaus augenzwinkernden Umgang mit den natürlichen Mitteln, die er einsetzt.

Respekt

Respekt vor der Größe der Natur zeichnet jedes seiner bisherigen Projekte aus, die er mit den opulenten Bänden "Andy Goldsworthy" (1991), "Stein" (1994), "Holz" (1996), "Bogen" (1999), "Mauer" (2000), "Zeit" (2001), "Sommerschnee" (2001) und "Passage" (2004) dokumentiert hat. Respekt, der bis ins kleinste Detail die Würde der Natur wahrt, gepaart mit einer überwältigenden kreativen Genialität ist sein Konzept - und das Rezept des Erfolges. Menschen lieben diese  unglaublich schönen künstlerischen Gestaltungen in und mit der Natur, die ihr aber weder Gewalt antut, noch sie in irgendeiner Form verändert. Andy Goldsworthy hat sich mit allem, was er zur und während der Gestaltung einsetzt, eingehend beschäftigt: Blätter, Schilf, Blüten, Grashalme, Dornen, Steine, Äste Felsen, Steine, Bäche, Tümpel, Fasern, Beeren, Eis, Schnee, ganze Landschaften. Er hat die im Einklang mit der Natur konstruierte Architektur von Brücken, Wegen und Mauern studiert und verinnerlicht. So auch jetzt bei "Schafhürden".

Archaisch


Die Geschichte dieses Unterfangens ist schon 18 Jahre alt. Bereits 1990 hatte die Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands Andy Goldsworthy den Auftrag gegeben, ein Skulpturenprojekt im öffentlichen Raum unter Einbeziehung der Landschaft zu planen. Er nahm sich ein typisches Element der dortigen Landschaftskultur vor: die teils erhalten gebliebenen, teils verfallenen alten Schafhürden, Steineinfriedungen, die überall im Land dazu gebaut worden waren, um darin Schafe zum Schutz oder zur Schur zusammenzutreiben. Diese von Hand geschaffenen Jahrhunderte alten Bauwerke, je nach Zweck "Sheepfolds", "Washfolds" oder "Pinfolds" genannt, ziehen sich als Netz über das Land und dokumentieren den uralten Wirtschaftsfaktor Schafzucht mit Standorten und Wander-Routen der Herden. Goldsworthy nahm es wie stets genau. Er dokumentierte den Zustand vor und während der Arbeiten bis hin zum fertigen Kunstwerk akribisch in Skizzen und Fotografien. Doch nicht nur auf die Rekonstruktion beschränkte er sich, das hätte jeder traditionell ausgebildete Bauhandwerker ebenso gekonnt - Andy Goldsworthy integrierte Kunst in die archaischen Mauern, ließ sie ebenfalls Teil der Kunst werden und schuf "nebenher", wie man es von ihm kennt und liebt, vergängliche Kunst mit und in der Natur.

Verblüffend und beglückend

Wie gewohnt und bewährt benutzte er dabei wieder natürliche Materialien, die nach der Vollendung und fotografischen Dokumentation innerhalb kurzer Zeit wieder Teil der Natur wurden, mit ihr verschmolzen. So dekorierte er in Dumfriesshire Felsen, Eis und Baumrindenstücke mit aus Schafwolle gelegten Mustern, die er wiederum mit der Strömung eines reißenden Baches in Verbindung brachte. Er legte großflächig Torf oder Wolle in Mustern auf Grasflächen aus, schichtete kunstvoll-urwüchsige Cairns auf oder baute tote Baumstämme in Steinkammern ein, die nach dem Vorbild der Hürden mit gleichen Steinarten gebaut wurden. Mystische Wasserdurchlasse in Steinmauern, statisch ohne Zement gebaute Steinbögen, vergängliche Objekte aus Schnee, Federn oder Wolle oder Felsen, in neue Zusammenhänge gerückt, gehören zum Œuvre Andy Goldsworthys - doch sie sind immer wieder neu und aufs Neue verblüffend und beglückend.

Die unberührte Natur ist nicht zu verbessern. Andy Goldsworthy gelingt es als einem der wenigen,
ihrem Ausdruck perfekter Schönheit hie und da temporär - in einigen Fällen dauerhaft - noch etwas hinzuzufügen. Dafür gebührt ihm Hochachtung, vor allem aber Dank. Seine Bücher bereichern.

Andy Goldsworthy "Schafhürden". Aus dem Englischen von Waltraud Götting. 280 Farbfotos. 191 Seiten. Großformat 26x29 cm. Fadenheftung. Fester Einband mit Schutzumschlag.
Nur bei Zweitausendeins,  33,- €. GP. Nr. 200341

Weitere Informationen unter: www.zweitausendeins.de