Waldeslust

Eine Lyrikanthologie zum Stichwort "Der Wald"

von Frank Becker
Ein Wald in der Tasche

Dieses schmale Reclam-Heftchen sollte wirklich in die Tasche stecken, wer künftig einen Spaziergang im Wald vorhat. Auf 102 Seiten + 21 Seiten Verfasser- und Titel-Index hat der Wanderer dann nämlich eine angemessene kleine Auswahl von Gedichten über diese Welt der Stille bei sich, die Dichter seit eh und je beeindruckt und beflügelt hat. Dichter jeglicher politischer Couleur  finden im Wald Gemeinsamkeit. Besonders die Dichter des Sturm und Drang, die Romantiker, die Expressionisten und die Naturlyriker der Mitte des 20. Jahrhunderts nahmen sich des Themas besonders gerne an.

Kann man sich etwas Schöneres vorstellen, als sich während des Spaziergangs in frischer Waldluft zum Besinnen unter dem
ausladenden Dach eines schönen Baumes auf schattiges Moos zu setzen, sich an die Rinde zu lehnen, auf die Waldesstille oder das leise Wehen in den Blättern zu lauschen - und mit einem Gedicht - vielleicht Robert Walsers "Im Walde" (S. 27) - den Gedanken der großen deutschen Lyriker nachzuspüren?

Im Walde 

Wie heimelt's mich jeweilen an,
wenn ich, was ich schon oft getan,
im stillen, lieben Walde stehe
und ringsum nichts als Schönes sehe.

Falls ich nicht sehr im Irrtum bin,
flaniere ich dann her und hin
und mein', ich sei in einem Zimmer,
umwoben von gemaltem Schimmer.

Die Freundlichkeiten, die ihm eigen,
will er mir alle gerne zeigen,
und nie, sofern ich offen sei,
bracht' er mir Langeweile bei.
 
Ihn, mit den Blättlein ungezählt,
hab' ich vergnügt mir auserwählt,
um zwischen seinen duft'gen Bäumen
Zeit zu vergeuden und zu träumen.

Robert Walser


Der Herausgeber Hartmut Vollmer hat die in die Sammlung aufgenommenen Gedichte zu Themenblöcken gruppiert, welche die Grundstimmungen umreißen, die den Besucher, Betrachter, Er-Wanderer des Waldes bewegen. Es sind die Erhabenheit der Wälder, der Zauber, der seit Urzeiten in ihren dunklen Tiefen und in ihren lichten Wipfeln wohnt, die Liebe zur Natur, der Wandel der Jahreszeiten und die Einsamkeit, die den Einsamen umso stärker überfällt, sucht er die Zwiesprache mit der Natur.
Schwermut, Trost und Waldvergnügen nehmen Schulterschluß in diesem hübschen Bändchen, das um den Preis einer Bratwurst mit Kartoffelsalat zu haben ist, jedoch um ein Wesentliches länger vorhält.

Beispielbild
Gustav Klimt "Buchenwald I" (1902)

Der Wald
Gedichte

Hrsg.: Hartmut Vollmer
123 Seiten, Broschur
ISBN: 978-3-15-018546-9
3,80 €

Weitere Informationen unter:
www.reclam.de

Gedichte von Achim von Arnim, Rose Ausländer, Wolfgang Bächler, Johannes R. Becher, Jürgen Becker, Johannes Bobrowski, Bertolt Brecht, Clemens Brentano, Georg Britting, Hans Carossa, Paul Celan, Max Dauthendey, Emmy Hennings, Günter Herburger, Max Hermann-Neisse, Georg Heym, Paul Heyse, Elisabeth Jahnstein, Friedrich Georg Jünger, Marie Luise Kaschnitz, Gottfried Keller, Justinus Kerner, Sarah Kirsch,  Gottfried Kölwel, Gertrud Kolmar, Theodor Kramer, Karl Krolow, Günter Kunert, Elisabeth Langgässer, Else Lasker-Schüler, Hans Leifhelm, Dieter Leisegang, Nikolaus Lenau, Oskar Loerke, Ernst Wilhelm Lotz, Paula Ludwig, Conrad Ferdinand Meyer, Christian Morgenstern, Bodo Morshäuser, Heiner Müller, Heinz Piontek, Lutz Rathenow, Rainer Maria Rilke, Nelly Sachs, Anton Schnack, Fridrich Schnack, Rudolf Alexander Schröder, Lina Staab, Ernst Stadler, Adalbert Stifter, Franciska Stöcklin, Theodor Storm, Ludwig Tieck, Hans-Ulrich Treichel, Ludwig Uhland, Georg von der Vring, Robert Walser, Franz Werfel, Alfred Wolfenstein, Albin Zollinger.