Nessi bricht alle Regeln (und darf es)

"Perlen und Säue" mit Nessi Tausendschön

von Frank Becker

Foto © Dilip Saha

Silentium für Nessi!

Nessi Tausendschön begeistert mit
„Perlen und Säue“ die Massen in der
Lenneper Klosterkirche

 

Remscheid.  "Rüdiger, ich wär soweit!" - Dem noch hüstelnden Publikum erlaubt sie großzügig: "Erst mal abhusten - aber dann darf ich um Silentium bitten!" - Straff beginnt Nessi Tausendschön im Marschtritt mit Louis Fürnbergs leuchtendem "Lied der Partei", das seinen DDR- Schrecken durch sie verliert. Nessi macht aus dem "Horst-Wessel-Lied" der SED eine Kleinkunst-Perle, wenn auch ohne Arbeiter- und Bauern-Chor.


Frau Tausendschön darf


Nessi Tausendschön, die vielleicht beweglichste Chansonette deutscher Zunge, die in die Remscheider Diaspora gekommen ist, um "Freude in die vertrockneten Lennper Herzchen zu träufeln" spricht: "Ich bin eine Konifere auf dem Gebiet des depressiven Liedguts.“ Stimmt. Sie bricht alle Regeln des Kabaretts, weil sie es kann und hackt auf Roland Koch herum, weil sie ihn nicht mag: "...ein irreversibler Irrtum der Evolution". Darf sie, denn sie ist geistreich.


Sie beherrscht die neue deutsche Leichtigkeit und den Ausdruckstanz ("Ich möchte Isadora Duncan danken!"), trägt hochwertige Lyrik mit Meta-Ebene vor, kann Handstand und führt ihn vor, ist eine ulkige Nudel und perfekte Performerin. Bei ihrem Wiegenlied "auf kyrillisch" steht nicht nur der Säugling senkrecht im Bett. Sie spielt die singende Säge (kann man die eigentlich stimmen?) und bricht alle Regeln des Kabaretts. Auch das darf sie. Denn sie ist genial.


"Ich muß nicht fröhlich sein, um zu trinken!"



Foto: Agentur Marianne Rogler

Nessi Tausendschön hat neben einer köstlichen Stummfilmparodie mit Stroboskop, ihren charmanten Chansons und lieblichen Liedern seit Jahren eine zauberhafte Paradenummer, die nicht fehlen durfte: Im schulterfreien weißen Kleid, mit zerzauster weißer Perücke und bejammernswert gerupften Flügelchen betritt sie als leicht angetrunkener "Schutzengel von Frau Tausendschön" die Bühne, die Weinflasche in der Hand, erobert mit zuckersüßem Lächeln und rutschendem Dekolleté auch das letzte eventuell noch verschlossene Herz, philosophiert, beklagt den Zustand der Welt. Der liebenswerteste Schutzengel, der sich je unseren Augen zeigte. Über ihr Alkoholproblem redet sie offen ("Ich muß nicht fröhlich sein, um zu trinken"), säuft sich an, gerät völlig aus dem Leim und singt die Engels-Klage "Mein Popo wird kalt", begleitet von Jürgen Grimm am Grand Piano. Der erweist sich auch solo mit Cole Porters "Everytime we say goodbye" als brillanter Jazz-Virtuose.


Hamse schon mal in Limonade gebadet?


Vergessen wir aber auch nicht Gaby Pawelka, die resche Heiratskandidatin aus Schkopau. Da steht sie im ausgeleierten mittelgrauen Wollkostüm und buhlt in postsozialistisch strenger FDJ-Haltung unvergleichlich und charakterstark um die Gunst des möglichen Zukünftigen. Also, wer die nicht nimmt! Da fehlte nur noch Uwe Steimle als Kandidat.



Foto © Bernd Böhne
Aus der Begründung der Jury zum Deutschen Kleinkunstpreis 2003 in der Sparte »Chanson«: "Ein Energiebündel, das mit weiblichem Raffinement provoziert und irritiert." Das kann unterstreichen, wer sie erlebt hat. Nach Ovationen verabschiedet sich Nessi Tausendschön mit ihrem zärtlichen Liebeslied "Auch wenn du gehst" als Zugabe, nicht ohne bei schließlich langsam abklingem Applaus ihrem Publikum ein deftiges "Ihr Weicheier!" aus dem Off nachzuschleudern. Sie ist ein Naturereignis. Und war wieder großartig.


Informationen über Termine und CDs:
www.nessi-tausendschoen.de
www.mariannerogler.de
www.wortart.de