Kenntnisreich, gut lesbar, sogar spannend

Michael Cornelius Zepter – „Maskerade. Künstlerkarneval und Künstlerfeste in der Moderne“

von Rainer K. Wick

Wie Künstler feierten

Michael Cornelius Zepters
monumentale Studie
„Maskerade“
 
In Köln wie in anderen Hochburgen des Karnevals treiben die närrischen Aktivitäten langsam aber sicher ihrem Höhepunkt entgegen: Rosenmontag (3. März). Wer in diesen Tagen durch die Neusser Straße in Köln schlendert, findet – passend zur sog. Fünften Jahreszeit – als Blickfang im Schaufenster der Agnesbuchhandlung ein Buch, das neugierig macht. „Maskerade“ von Michael Cornelius Zepter.
Nimmt man das Buch zur Hand, ist man sogleich fasziniert. Es handelt sich um ein kunst- und kulturwissenschaftliches Nischenthema, und genau das macht diese Arbeit so interessant. Auf fast 600 Seiten entfaltet der Autor die spannende Kulturgeschichte des Künstlerkarnevals und der Künstlerfeste in der Moderne. Schon lange hat er sich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Erwähnt seien nur seine einschlägigen Studien, in denen er die Künstlerfeste und den Künstlerkarneval in Köln in der Zwischenkriegszeit zum Gegenstand gemacht hatte. Mit „Maskerade“, seinem Opus magnum, hat er nun die reiche Ernte jahrzehntelanger Forschungsarbeit eingefahren und dabei den räumlichen und zeitlichen Horizont entschieden über Köln und die 1920er Jahre hinaus erweitert. Literarisch gebildet, kunsthistorisch kompetent, gründlich in der Darstellung kultur- und sozialgeschichtlicher Zusammenhänge und akribisch, was die Einarbeitung archivalischer Materialien anbelangt, ist Zepter ohne jeden Zweifel das Standardwerk zum Thema gelungen. Daß er dennoch gleich in der Einleitung hervorhebt, daß das Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, dient nicht nur dem Selbstschutz des Autors, sondern ist der Vielfalt der Phänomene und der Uferlosigkeit des Themas geschuldet. Das zwingt zur Bildung von Schwerpunkten, und Zepter, der in den frühen 1960er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat und jahrzehntelang an der Universität Köln in der künstlerischen Lehre tätig war, weiß als Pädagoge sehr wohl, was es mit der didaktischen Reduktion und dem exemplarischen Prinzip auf sich hat. Er konzentriert sich auf die Metropolen München, Berlin und Köln, bezieht aber auch Düsseldorf, Hamburg und andere Orte ein.

Venus und Pallas Athene,
Fest der Münchner Künstlervereinigung Sturmfackel, 1900

Die dreiteilige Grobgliederung des Buches folgt nicht systematischen, sondern historischen Gesichtspunkten: Teil I – Das Große Theater (1830-1918), Teil II – Utopie und Experiment (1919-1939), Teil III – Nostalgie und Verwandlung (1945-2010). Damit spannt der Verfasser einen Bogen, der von der Spätromantik und vom Historismus bis in die Gegenwart reicht und nachvollziehbar macht, wie Künstler in den letzten fast 200 Jahren Feste gefeiert haben und diese selbst zu künstlerischen „Events“ haben werden lassen. Hier konnten sie spielerisch ihre Kreativität entfalten und unter den Bedingungen des närrischen Treibens mit Phantasie ihre soziale Sonderexistenz als Bohemiens ausleben
 
Kostümfeste und Künstlerfeten bilden zwar den roten Faden der Untersuchung, zugleich erfährt der Leser aber auch eine Menge über die Kunst selbst und ihre permanente Selbsterneuerung in den letzten zwei Jahrhunderten. Hier schöpft der Autor aus dem enormen Fundus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit der neueren Kunst- und Kulturgeschichte, und die detaillierten Anmerkungen lassen den Umfang seines Zettelkastens (oder seines digitalen Archivs?) zumindest erahnen.
Zepters Untersuchung beginnt mit den Münchner Künstlergruppen, deren Festivitäten im 19. Jahrhundert, im Zeitalter eines grassierenden Nationalismus, nicht selten „romantisch-patriotisch“ (S. 35 ff.) geprägt waren. Typisch waren „spektakuläre Festumzüge, … Burgfestspiele in mittelalterlichen Kostümen und …aufwendige historische Bälle“ (S. 84) Im Zuge der Lebensreformbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts – u.a. mit Kleiderreform und Freikörperkultur – wurden die Künstlerfeste freizügiger; Frivolität und Erotik spielten eine
 
nicht unwesentliche Rolle. Künstlerisch war es die Zeit des Jugendstils. Doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, aktuell einem der zentralen Themen der Feuilletons und Gegenstand zahlreicher Ausstellungen im Jahr des Weltkrieggedenkens, war es mit der Festkultur der Belle Époque vorbei. Es folgten Jahre des „Blutigen Karnevals“, wie der Titel einer Zeichnung von George Grosz aus dem Jahr 1917 und die Überschrift des entsprechenden Kapitels im Buch „Maskerade“ lauten (S. 142 ff.).

 Heinrich Hoerle, Masken, 1929
 
Der Aufbruch in eine „Neue Zeit“ nach dem Krieg verbindet sich u.a. mit der Gründung des Bauhauses 1919 Weimar. Die besondere Bedeutung der Festkultur an dieser progressiven Reformkunstschule, ja ihren geradezu integralen Stellenwert, hat Johannes Itten schon früh hervorgehoben, als er schrieb: „Spiel wird Fest – Fest wird Arbeit – Arbeit wird Spiel.“ (S. 236) Tatsächlich sind die Bauhaus-Feste legendär. In Weimar zunächst noch stark im Fahrwasser des Expressionismus, in Dessau dann eher unter dem Leitstern konstruktivistischen Gedankengutes, spiegelten sie in spielerischer Weise Tendenzen der jeweils aktuellen Zeitkunst. Berühmt wurden die großen, gestalterisch maßgeblich von Oskar Schlemmer mitbestimmten Kostümfeste, so das „Weiße Fest“ und das „Metallische Fest“. Und nicht zu vergessen ist die Bauhaus-Kapelle, die seit Weimarer Zeiten regelmäßig zu den Festveranstaltungen aufspielte.
Neues erfährt der Leser über Künstlerfeste in Köln, und zwar sowohl zwischen den Weltkriegen als auch nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Hochburg des rheinischen Karnevals waren es vor allem die Kölner Werkschulen, an denen besonders ausgelassen gefeiert wurde. Und dem überaus wichtigen Aspekt der Maskerade im Œuvre von Max Beckmann widmet Zepter ein eigenes aufschlußreiches Kapitel (S. 358 ff.).

 

Zu welchen Verirrungen der Festkultur es im „Dritten Reich“ kommen konnte, zeigt der Autor mit Verweis auf die „alles andere als keuschen … nächtlichen Antikenfeste im Nymphenburger Schloßpark“. (S. 389) So bevölkerten etwa 1938 bei einem Umzug im Rahmen der „Nacht der Amazonen“ (s.o.) zahlreiche unbekleidete Damen den Festwagen der Diana – eine Inszenierung, die an Kitsch kaum zu überbieten war und nur dazu diente, von den Machenschaften eines repressiven Regimes abzulenken.
Nach der „Katastrophe des Zusammenbruchs und des Bombenkriegs versuchte die traumatisierte Gesellschaft Deutschlands die Gräuel der Vergangenheit zu verdrängen“, so Zepter, was zunächst zu einer Rückkehr zu den Künstlerfesten und zum Künstlerkarneval im Stil der Vorkriegszeit führte. Abgehandelt wird dies anhand ausgewählter Einzelbeispiele im dritten Hauptteil des Buches mit der Überschrift „Nostalgie und Verwandlung (1945-2010)“, in dem der Autor dann auch jenen Entwicklungen nachspürt, die in den letzten Jahrzehnten dazu geführt haben, daß „die ehemals exklusive Festkultur der Künstler zum Allgemeingut geworden (ist), aus dem sich jeder Verkleidungssüchtige nach Lust und Laune bedienen kann.“ (S. 413 f.)
Das Buch ist nicht nur kenntnisreich, sondern auch gut lesbar, passagenweise sogar spannend geschrieben. Die überbordende Fülle an Detailinformationen, die dennoch nie das große Ganze aus dem Blickfeld geraten lassen, machen es zu einer überaus anregenden Lektüre und zugleich zu einer unverzichtbaren Fundgrube für all jene, die sich für diese Facette der Kunst- und Kulturgeschichte interessieren.
 
  Strip it easy - 41. Hamburger Künstlerfest 1965
 
 
Michael Cornelius Zepter – „Maskerade. Künstlerkarneval und Künstlerfeste in der Moderne“
2012 Böhlau-Verlag Gmbh, 584 Seiten, gebunden, 208 s/w- und 44 farbige Abb., 24 x 17 cm - ISBN 13: 9783412208776
39,90 €
Alle Abbildungen wurden dem besprochenen Band entnommen.

Weitere Informationen: www.boehlau-verlag.com