Roger Loewig zum 10. Todestag

Ein Portrait des Malers und Schriftstellers

von Johannes Vesper

Roger Loewig
Foto © Johannes Vesper

Roger Loewig  1930-1997


Nein, Roger Loewig paßte nicht in die Wirtschaftswunder- und Konsumgesellschaft der Bundesrepublik. Daran hat auch die große Ausstellung in der Kölner Galerie Baukunst 1975, seine schönste Ausstellung jemals, nichts geändert. Loewigs nicht konsumierbares bildnerisches  Werk war nie ein Objekt des Kunstbetriebes oder des Kunstmarktes. Seine leisen Blätter sind  keine großformatigen Werke, wie sie von Banken und Versicherungen, den großen Mäzenen der jüngsten Zeit,  gekauft werden. Nein, R.L. ist kein erfolgreicher deutscher Künstler der Nachkriegszeit.

Das 20. Jahrhundert ist aber nicht charakterisiert durch Wirtschaftswunder mit Konsum, Wohlleben,  bequemen Limousinen und breite Straßen, durch einen florierenden Kunstmarkt mit Kunstmessen oder durch Ferntourismus zu breiten Sonnenstränden, sondern ist im Wesentlichen charakterisiert durch Kriegskatastrophen und Massengräber von der Ukraine bis nach Frankreich, durch deutsches Giftgas auf den französischen Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs, wie beim Holocaust in Treblinka und Auschwitz, auch durch Hiroshima und die zahlreichen Kriege nach dem furchtbaren 2. Weltkrieg. Schlimme Zeiten. Selten war der Mensch in seiner Existenz so bedroht wie im fortschrittlichen, aufgeklärten und demokratischen 20. Jahrhundert. Dieser Mensch mitten in den zeitgenössischen Katastrophen, zerschmolzen und geschunden, bedroht und verzweifelt, dieser Mensch des 20. Jahrhundert, das war das Thema von Roger Loewig. „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht“ (Börsch-Supan 1973). R.L. sah in sich hinein, malte, schrieb und zeichnete.

Zu sehen sind auf seinen Blättern mit den stets leicht konvex eingezogenen Bildrändern, welche die Blätter wie aufgespannt erscheinen lassen, Grenzen, die oft als Flüsse, gelegentlich als Mauern erscheinen. Immer wieder Grenzen, Landschaftsspieglungen in weiten Seen, von  Leibern belebte Natur, Pflanzen bzw. Haare zwischen Hügeln, Bäume mit Ästen wie Arme oder Hände, Bäume, die auf Wurzeln gehen oder im kargen Boden verwurzelt sind. Man sieht gespreizte Glieder als „entblößendes Symbol für die existentielle Geworfenheit des Menschen“ (W. Hofmann) und die stete Bedrohung der menschlichen Existenz. Man sieht aufgespießte Fische, Schiffe geneigt auf ihrem Kiel liegend, Vögel und endlich Ikarus, der bei seinem Höhenflug in die Freiheit, bzw. bei seiner Flucht aus dem kretischen Labyrinth umkommt. Immerhin behauptet Sokrates, von ihm abzustammen. Ödland sieht man und darin einen einsamen Motorradfahrer auf einer mit einigen kahlen Bäumen gesäumten Landstraße. Reine Autobiographie. Auf jedem Bild ein meist blasser Sonnenball. Die zarten, mit Bleistift, Buntstift oder Feder souverän und gekonnt gezeichneten Blätter – Ölbilder gibt es nur in seiner frühen Zeit - sind immer gegenständlich, oft surreal und absurd. Aber nichts war so absurd wie die Realität des 20. Jahrhunderts, die hier gespiegelt wird. Kein Zufall, dass R.L. der erste deutsche Maler war, der im Lagermuseum Auschwitz  ausgestellt wurde (1992). Erstaunlich und merkwürdig, daß diese Ausstellung in Deutschland überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde.      

Während bei C.D. Friedrich der Mensch alleine, eingebettet in die unendliche Natur und dieser ausgesetzt, dargestellt wird, mit schwarzen Raben existentiell in einer unsicheren Situation am Rande des Abgrunds, werden bei Loewig die Erfahrungen des Holocausts, der Weltkriege und der Diktatur, also die spezifischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, die C.D. Friedrich noch nicht kannte, dargestellt. In die Erde, in Ackerfurchen eingebettete Leiber, das ist das 20. Jahrhundert. Mensch und Gott waren Thema der darstellenden Kunst von den alten Griechen bis hin zum 18. Jahrhundert, als  Aufklärung und Naturwissenschaften in zunehmender Realitätsbezogenheit zur Landschaftsmalerei  bzw. mit dem Aufblühen von Materialismus und Industrialisierung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts später zur abstrakten Malerei führte. In weiten Bereichen der darstellenden Kunst war der Mensch kein Thema  mehr. Nicht so bei Loewig.

Roger Loewig (geboren 1930 in Striegau bei Breslau) war biographisch geprägt durch die vom Krieg zerstörten und zerwühlten Landschaften Ostdeutschlands und durch seine Haft in der DDR. 1963 wurde er nach einer privaten Ausstellung seiner Bilder in Ostberlin wegen „staatsgefährdender Hetze und Propaganda in schwerwiegendem Fall“ festgenommen. Nach einjähriger Haft erhielt er 1964 eine Bewährungsstrafe von 3 Jahren. Sein damaliges Schicksal und seine Empfindungen können vielleicht erahnt werden bei dem Film „Das Leben der Anderen“, in dem der damals in der DDR herrschende  persönliche Terror mit seinen Verletzungen und Verwundungen auch für uns spürbar wird, die diese Zustände nicht persönlich erlebt haben. Nach seiner Ausreise in die BRD - RL wurde 1971 freigekauft -  wurde ihm von der DDR bis auf eine Ausnahme (1981 auf  persönliche Veranlassung Herbert Wehners) keine Besuchsgenehmigung mehr erteilt. 1973 erhielt RL ein Gaststipendium an der Villa Massimo in Rom, wo er den Kunstkritiker Heinrich Hahne kennenlernte, der ihn in den folgenden Jahren förderte. Seit seiner Ausreise aus der DDR lebte R.L. im Märkischen Viertel in Berlin im Dachgeschoss eines Hochhauses mit ständigem Blick auf die Grenze bzw. darüber hinaus.       

Vor diesem biographischen Hintergrund konnten wir auch seine Persönlichkeit verstehen. Er schien schwierig, empfindlich und kompliziert im Umgang mit Fremden und war im täglichen Leben angewiesen auf die kommunikativen Fähigkeiten seiner Lebensgefährtin Creszentia, die immer alles getan hat, um Verständnis für RL und sein Werk zu wecken. Erst bei näherem Kennenlernen trat sein Humor als die wärmste Form der Distanz  zutage.

RLs letzte Ausstellung in seinem Beisein fand im September 1996 in Belzig statt, einem Hauptort des Flämings, jener Landschaft südwestlich von Berlin, gekennzeichnet durch Kiefernwälder, Sandboden, weiche Hügel , Seen und die Gräber russischer und deutscher Soldaten. In dieser Landschaft war R.L. seit den 60er Jahren zu Hause. Dort verbrachte er in seinen besten Tagen wunderbare, schwermütige Stunden

„Ein Vogel bin ich ohne Flügel


im Flämingland auf meinem Hügel
bin ich die alte Mühle ohne Wind.

Ich bin ein Fisch in Aschezeilen
die Flossen spießen im Gestrüpp,

ein schwarzes Schiff bin ich und leck
mit vielen hunderttausend Meilen
verfaultem Heimweh unter Deck.

Die uralten, immer verschlossenen Feldsteinkirchen  des Fläming mit Rissen in den Mauern, vergessen in diesen modernen Zeiten, waren das anrührende, melancholische Thema seiner letzten Jahre, die zunehmend überschattet wurden von Krankheit und Krankenhausaufenthalten.

Am Ostersonntag 1997 schrieb Cenzi Troike-Loewig: „Heute ist der erste Tag, an dem es Roger besser geht.“  Die Hoffnung auf nachhaltige Besserung erfüllte sich jedoch nicht. Roger Loewig war schwer krank. Im Oktober 1997 erhielt er das Bundesverdienstkreuz und lud seine Freunde aus ganz Deutschland und Polen zu einer Feier in das Rathaus Köpenick ein.  Am 4. November 1997, heute vor 10 Jahren, verstarb Roger Loewig in seiner Wohnung in Berlin im Märkischen Viertel. Die Feier der eingeladenen und angereisten Freunde wurde zur Totenfeier.   


Roger Loewig - Foto © Johannes Vesper

Post scriptum:

1998 gründete sich die Roger-Loewig-Gesellschaft (www. roger-loewig.de). 2008 wird in Belzig im hohen Fläming das Roger-Loewig-Museum eröffnet werden.

Weiterführend:

Roger Loewig: Auf der Suche nach Menschenland (Katalog der Ausstellung 13.10.2000 -28.01.2001 im Museum Nicolaihaus der Stiftung Stadtmuseum Berlin herausgegeben von der Roger-Loewig-Gesellschaft ISBN 3-931768-47-0

© 2007 Johannes Vesper - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007 - Redaktion: Frank Becker