Neues Kabarett

Dieter Nuhr, Moritz Netenjakob und Hagen Rether auf CD

von Peter Bilsing

TRIO GRANDE

Mit den hier vorgestellten CDs von Dieter Nuhr, Moritz Netenjakob und Hagen Rether sehnt sich der gestresste Autofahrer geradezu den Stau herbei. Hervorragende Silberlinge, die Appetit auf mehr machen.

Es gibt durchaus auch anspruchsvolles Kabarett neben all der seichten Volksverblödungs-Comedy jener Kommerz-Sender; bei denen das sogenannte „Programm“, wie ein kluger Kommentator mal sagte, „eigentlich nur die Schleimspur zwischen den Werbeblöcken“ ist. Das belegen die Programme von Dieter Nuhr, Moritz Netenjakob und Hagen Rether par excellence. Vielleicht sind solche Kabarettisten ja auch die einzige und letzte Rechtfertigung für die Rundfunk-und Fernsehgebühren der Öffentlich Rechtlichen, wo sie ja gottseidank regelmäßig zu sehen sind. Selbstverständlich kann keine CD ein „Live“ ersetzen, aber ein Einstimmung ist sie fürwahr und als Geschenk mit Sicherheit hochdankenswert – an liebe Menschen, versteht sich. Außerdem machen sie jeden ärgerlichen Verkehrs-Stau zum amüsanten Hörerlebnis, den nur dann kann man ja im Auto konzentriert zuhören. Kabarett, das weder plätschert noch berieselt, sondern seine Hörer fesselt und mitreißt. Bravi!


NUHR DIE WAHRHEIT

...lautet das Motto bei Nuhr. Es ist natürlich in Wirklichkeit alles gelogen – wirklich alles? „Die Wahrheit ist oft unerfreulich, aber trotzdem wollen wir sie wissen“, lautet das Motto seines Programms, und blitzschnell ist Nuhr sarkastisch und politisch zugleich „Im Grunde bleibt der Sinn des Lebens: man sollte Spaß haben…man kommt zur Welt…irgendwann lebt man wieder ab und die Zeit dazwischen sollte man wirklich lustig füllen....viel besser als beispielsweise in Bagdad….weil da die Zeit zwischen Geburt und Tod natürlich viel schneller rum ist.“

Das ist es, was das Phänomen Dieter Nuhr ausmacht: mitten aus dem anscheinend oberflächlichen Plauderton des Smalltalks schießt er überraschend seine gespitzten Pfeile ab, und die treffen immer haargenau ins Schwarze: „Es wird ein Abend ohne Gewalt, ohne Drogen und ohne Rassismus – das habe ich so überlegt…weil ich ja Lehramt studiert hab… und ich habe gedacht Gewalt , Drogen, Rassismus…da hättest Du ja gleich an der Schule bleiben können….aber ich habe mir gedacht: Du trittst einfach lieber vor Freiwilligen auf…das ist schöner…motivierteres Publikum!“
So zelebriert der als Lehrer für Kunst, Pädagogik und Geschichte ausgebildete Wortkünstler despektierlich seine Vergangenheit, bevor er zur Tagesaktualität schreitet.

Z.B. Thema Islam: „Ich hab mir extra noch nen Koran besorgt, um zu sehen was man sagen darf überhaupt zu dem Thema…und da ist dann auch nix übrig geblieben….muß man ja auch einfach mal so anerkennen, daß die Menschenrechtslage in diesem (Anm.: unserem) Land ja nun so ist, daß man nicht frei sprechen kann.“ Weiter: „Es ist das erste Mal seit 1945…in Deutschland…so, daß man Angst haben muß, daß wenn man was Falsches sagt, daß da einer kommt und einem physische Gewalt androht…“. Das sitzt. Vom Pfeil zur Kanonenkugel.
Aber auch die Zwischenmenschlichkeit – Nuhrs Dauerthema, daß Männer und Frauen nun mal nicht zusammen passen (zumindest nicht ewig) wird ebenso intelligent wie unterhaltsam aufgerollt. Blitzschnell wechselt er dabei vom Frauenversteher zum Macho und zurück.
Und so spannt er den Bogen vom Thema Geld zum Islamismus: „Selbst der islamistische Märtyrer…der sich da in die Luft sprengt…macht das ja nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen…es wissen viele hier nicht, daß dessen Familie dann sone Art Rente kriegt…von der Hamas, der Hisbolla oder wer da gerade zuständig ist…und da freut sich dann die Familie…juchhe!...der ist im Paradies und es gibt Geld….und dann feiern die da…juchhu...die Sonne scheint, der Himmel lacht, der Jusuf hat sich umgebracht!“
Bei soviel Wahrheit bleibt gelegentlich das Lachen im Halse stecken. Und genauso geht es weiter. Schuß auf Schuß. Harmlos scheint´s, wie beim smarten Kaffeetalk herausgeplauderte Wahrheiten. Pointen die sitzen. Das ist mehr als brillant. Nuhr hat in den letzten Jahren/Jahrzehnten die großen Kabarettpreise abgeräumt – zurecht.


MULTIPLE SARKASMEN

Moritz Netenjakobs Popularitätsgrad ist noch nicht so hoch (und er füllt noch nicht die ganz großen Säle wie Dieter Nuhr; nichts desto trotz muß er mit zu den Besten in unserem Lande gezählt werden. Netenjakob schaut dem, unserem Volk aufs Maul und aufs Gehirn, wenn er behauptet „Wir können uns nicht richtig freuen, wir Deutschen.“ Und er belegt den Fatalismus unseres Volkes mit köstlichen

vielsprachig dialektischen Beispielen. „Wenn wir uns freuen sollen, dann brauchen wir erstmal eine Fußballweltmeisterschaft…und sehr, sehr, sehr, sehr viel Alkohol…“. Eine solche Erkenntnis tut schon weh.
Auch die kulturlosen US-Boys und -Girls bekommen ihr Fett: „Der Amerikaner stellt sich beispielsweise vors Brandenburger Tor und sagt: „What a fuck!…bauen die hier eine Brücke when there is no river…stupid people….here in Holland!“ Roter Faden seines Programms allerdings sind die (hoffentlich) fiktiven Probleme mit seinen Eltern, anscheinend Urviecher der 68er Generation: „Mein Vater war Intellektueller, wenn der eine Autopanne hatte, dann blieb der erstmal stundenlang im Auto sitzen um sich zu fragen: Was hätte Nietzsche jetzt getan?“ Vielseitig zitiert er Tagebucheinträge aus einer Jugend: „Papa ist wütend, wenn ich zum Einschlafen Schäfchen zähle...das ist als Einschlafhilfe für ihn zu banal...wenn ich schon etwas zählen muß, dann französische Widerstandkämpfer…die von der Gestapo verhaftet werden.“
Netenjakob beherrscht nicht nur jeden deutschen Dialekt, er ist darüber hinaus auch ein köstlicher Stimmenimitator á la Heiner Brand – jedoch erheblich vielseitiger. Lassen Sie sich überraschen.
Die Fragen: „Was würde in Deutschland passieren, wenn uns Aliens angreifen würden?“ Oder „Wie verändert sich AL KAIDA wenn man sie in Schwäbisch Gmünd als Verein anmelden würde?“ sind nur einige Teile aus seinem ersten mehr als gelungenen Soloprogramm.

Bekannt war Netenjakob bisher eher als Autor hinter der Bühne; Chefschreiber von "Switch" und "Wochenshow"; er hat an der TV-Serie „Stromberg“ mitgeschrieben und verfaßte Bühnenprogramme für Hella von Sinnen, Cordula Stratmann, Bernhard Hoecker, Bastian Pastewka und die Kölner Stunksitzungen. Der Kölner Stadtanzeiger lobte ihn: „bestes Solo-Debüt seit vielen Jahren.“
Kann man so stehen lassen. Mit solchen Kabarettisten geht es wieder aufwärts in Deutschland. Vergeßt Schmidt! Alles Gute für die Zukunft, Moritz Netenjakob!


LIEBE

Der dritte im heutigen Triumvirat ist mein persönlicher Favorit und heißt Hagen Rether. Seine erste CD ist ganz einfach „LIEBE“ betitelt (mittlerweile gibt es „LIEBE 2“). Er ist der leiseste von allen. Der Mann mit dem knappsten Text, aber mit den bösesten Pointen. Seine wohlüberlegten Worte (teilweise fast ins Mikro gehaucht) zergehen auf der Zunge und detonieren wie Feuerwerkskörper intelligenten, dabei höchst unterhaltsamen Gehirnschmalzes. Dabei begleitet er sich musikalisch am Pianoforte, wie weiland der große Hanns Dieter Hüsch an der Heimorgel. Subtil, mit wenigen Noten, die aber viel sagen.

Hier einige Beispiele. Zu seiner Vita:„Viele fragen mich immer…wieso heißt Dein Programm eigentlich LIEBE ? …meine Mutter sagte immer: LIEBE macht blind !…..mein Vater sagte: Wichsen macht blind !……Mir war bald klar: Blind würde ich ohnehin. ….also machste Kabarett!“
Später am Abend: „Aus! Ende der Spaßgesellschaft...nationaler Notstand!...dachten wir...aber dann hammse Adenauer zum „bedeutendsten Deutschen“ gewählt…Adenauer!…wenn Sie im Ausland Adenauer sagen, glauben die sie sprechen von einem Riesling…nein, nein Hitler hätt´ s ja nicht werden können…der war Österreicher!“ Boing! Das saß.
Politisch aktuell und trotz des Lachers bestürzend: „Nach 16 Jahren Kohl entpuppte sich die CDU als organisiertes Verbrechen…nach diversen Jahren Schröder entpuppte sich die SPD als unorganisiertes Verbrechen.“ Oder: „Die Volksparteien schlachten jetzt den Sozialstaat, weil sie glauben, in seinen Eingeweiden ihre Zukunft lesen zu können.“ Das hat die Schärfe, den Biß eines Kai Lorenz. Die SZ bescheinigte ihm „Sätze wie Gewehrkugeln!“ Rether zelebriert wirklich ganz großes Kabarett.
Da schließe ich mich den jubelnden Kritiken der werten Kollegen gerne an: www.hagen-rether.de/html/kritiken. Zusammengefaßt: Hagen Rether ist die kabarettistische Option auf die Zukunft eines hoffentlich bald mal wieder denkenden Landes BRD. Zur Zeit ist er Mahner und scharfzüngiger Karikaturist eines schlafenden Deutschland. Anspruchsvoller kann man zur Zeit kaum unterhalten werden.

Weitere Informationen unter: www.wortart.de

Redaktion: Frank Becker