Mephisto zahlt und der Erdgeist resigniert

Der "Urfaust" in einer Inszenierung von Christian von Treskow an den Wuppertaler Bühnen

von Frank Becker

Wuppertaler Bühnen

Mephisto zahlt und der Erdgeist resigniert

"Urfaust" in einer Inszenierung von Christian von Treskow


Regie: Christian von Treskow  -  Bühne: Jürgen Lier  -  Kostüme: Dorien Thomsen  -  Musik: Sebastian Weber  -  Licht: Sebastian Ahrens  -  Dramaturgie: Alexandra Jacob  -  Fotos: Michael Hörnschemeyer

Faust: Thomas Braus  -  Mephistopheles: Andreas Möckel  -  Margarethe: Olga Nasfeter  -  Marthe, Erdgeist: An Kuohn  -  Wagner, Pfarrer, Polizist: Peter K. Hoffmann  -  Student, Böser Geist, Polizist: Frederik Leberle  -  Liesgen: Melanie Vollme  -  Valentin: Björn Lukas  -  Musikeinspielungen: Dirk Bell, Wolfgang Greschus, Carl Ludwig Hübsch

 

Ich will hier raus!

Dr. phil. Heinrich Faust will raus, raus aus dem Kerker der engen Welt seiner Bibliothek und Wissenschaft, den er um sich herum „an die zehen Jahr“ aufgetürmt hat. Das klingt vertraut. Wollen wir doch alle. Dazu allerdings die Metaphysik und Spökenkiekerei zu bemühen, den Erdgeist zu beschwören und allerlei anderen mystischen Schnickschnack aus dem Dunstkreis eines Nostradamus zu zelebrieren, ist dann doch eher die Sache des Dr. Faust – von J.W. von Goethe all den Neugierigen und Verführbaren streng mahnend ins Stammbuch geschrieben. Die Probleme ergründen, die Zweifel aufgreifen, eine Lösung suchen: gut. Der Geheimrat empfiehlt es mit


Also los!  -  Andreas Möckel (links) als
Mephistopheles, Thomas Braus rechts
Nachdruck – den Weg dorthin allerdings läßt er seinen Faust - wir wollen den mal nicht das alter ego des Universalgenies nennen –  sehr plakativ falsch beschreiten. „So nicht!“, schreit uns die Botschaft seit mehr als 200 Jahren entgegen, was schon Generationen von Schülern vergraulte, die in das Joch der Faust-Lektüre gezwungen wurden.

Es geht auch anders

Daß es auch anders geht, zeigte am vergangenen Samstag die Premiere einer Inszenierung des „Urfaust“, die Christian von Treskow für die Wuppertaler Bühnen besorgt hat. Dort nahm man nach mehr als 45 Jahren einmal wieder diesen 232 Jahre alten „Urfaust“ ins Programm, nachdem bis vor einigen Jahren die Faust I und II- Inszenierungen der Ära Freitag in Wuppertal ein Faust-Bild geformt hatten, das dringend einer Reform bedurfte. Daß Christian von Treskow der wuchtige Stoff anvertraut wurde, ist als Glücksfall zu bezeichnen. Seine pralle, temporeiche (Auf-) Fassung im ideenreichen Bühnenbild von Jürgen Lier und mit den großartigen Kostümen von Dorien Thomsen bot ein delikates Bühnen-Erlebnis, ein auf Punkt und Komma gelungenes Miteinander von klassischem Stoff, klassischem Theater, zeitgenössischer Rock- und Heavy Metal-Musik sowie komödiantischen Elementen des gehobenen Boulevards.

Von Treskow inszeniert mit glücklicher Hand

Eine glückliche Hand bewies von Treskow auch bei der Besetzung. Zwei hervorragende Herren standen für die zentralen Rollen zur Verfügung – die Wahl fiel auf Thomas Braus als ziegenbärtigen Bücherwurm Faust, der blind am eigenen Schein-Erfolg scheiternd vom Flitter der Macht mitgerissen wird - und Andreas Möckel als gelassen schnoddriger Mephistopheles auf dem Fahrrad, der ja


Lecker Gretchen!     Olga Nasfeter - Andreas Möckel
eigentlich nichts will als seine Ruhe und nebenbei ein paar Seelen. Möckel übertraf aufs Neue die Marke, die er in seinen vorigen Rollen gesetzt hatte, machte den Mephistopheles zur sympathischen Hauptfigur einer fatalen Komödie. Hier trafen zweie aufeinander, die sich, ihren Mitspielern und ihrem Publikum viel zu geben hatten – und es mit vollen Händen taten. Mit Ironie und Intelligenz führten sie Goethe nicht nur auf, sondern auch vor. Nicht weniger motiviert zeigten sich die anderen: Olga Nasfeter hinterließ als blondgezopftes Gretchen in süßer Torheit und als verzweifelte Kindsmörderin (brutal aber konsequent dargestellt) einen blendenden Eindruck, und An Kuohn legte eine wunderbar frivole, knackig junge Marthe hin, daß man Mephistos Gelüste auf die ihm um ein Haar überlegene Kokotte durchaus verstehen konnte. Und daß der Teufel auch mal probehalber an Margarete nascht: normal.

Kabinettstückchen

So wie die Inszenierung gleich mit drei Kabinettstückchen aus den Startblöcken ging, blieb die Spannung bis zum Ende: straff, voller Überraschungen und gestopft voll von komödiantischen Bonbons, ob das nun Fausts „Zigarette danach“, Marthes Lock-Licht oder die wundervoll aufgepappte Liebeslaube ist. Jürgen Lier hat ein Bühnenbild unter ein und dem selben Vollmond (aha, nur der Traum einer Nacht war das Erlebnis...) gezaubert, das mit seinen gleichförmigen Häuschen an ein „Andorra“ erinnert und auf den Rückseiten auf den Punkt gebrachte Szenenbilder präsentiert.


Die kleine Stadt will schlafen gehn...

Möckels Einstieg „Mephistopheles als Faust“, Frederik Leberles wissensdurstiger Schüler, der sich unter dem Einfluß des Antichrist zum New Generation-Studiosus wandelt und Möckels Mephistopheles-Rock (plugged) legten die Latte hoch. Alle schafften bis zum Abgesang die Höhe. In Finnland gab es kürzlich die Weltmeisterschaften der Luftgitarre- Spieler. Ein Rätsel, wieso Möckel nicht daran teilgenommen (und gewonnen) hat. Er legt seinen Mephistopheles nahezu kabarettistisch an, ein nonchalanter Flaneur, eine ehrliche Haut, die sogar die Getränkedose zahlt, obwohl der Kiosk verlassen ist. Seine Dämonie liegt im spektakulär Undämonischen. Wenn er bisweilen nach Ratzinger klingt, ist das sicher nicht zufällig, und wenn er neben anderen Kunststückchen mit magischer Hand den Valentin die aggressiv gezückte Klinge gegen sich selbst wenden läßt, ist das einer der Geniestreiche der Regie.

Saftig und überzeugend

Christian von Treskow hat mit Sebastian Webers musikalischer Hilfe ein saftiges Rock-Drama aus dem staubtrockenen Stoff gemacht, wobei allein stört, daß die englisch gesungenen Texte (wieso englisch?) überwiegend unverständlich bleiben. Sie sind zwar im Programmblatt abgedruckt, aber

Der kommt nicht mal der Teufel bei
An Kuohn (Marthe) - Andreas Möckel
das nützt a. im dunklen Theatersaal nichts und b. dem nicht, der nicht Englisch kann. Das schmälert das Vergnügen etwas. Die gestraffte Fassung hingegen ist so bekömmlich wie die mit Fingerspitzengefühl zusammengebrachten Elemente von Theater als moralischer Anstalt und anspruchsvoller Unterhaltung, und es sollte mit dem (ähem!) Teufel zugehen wenn es nicht gelänge, damit auch eine theaterunerfahrene junge Generation zur Thalia zu locken – und sie zu überzeugen. Ich jedenfalls habe mich bei einem „Faust“ noch nie so gut unterhalten, um nicht zu sagen amüsiert. Und daß am Ende der Erdgeist resigniert, ist nur verständlich. Eine Empfehlung!

Weitere Informationen unter:  www.wuppertaler-buehnen.de