Was wir alles erhöhen können - und das große Wischer-Orakel

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Was wir alles erhöhen können
und das große Wischer-Orakel

4. März: Was wir alles erhöhen können. Wie durch die Kraft der Einbildung alles schön wird. Kann die Welt so sein, wie wir sie sehen wollen? Vertrauen wir zu wenig unserer Phantasie? Liegt in unserem Willen der einzige Weg die Welt zum Guten zu verändern? Ich kenne Hundebesitzer, die ihren Hund so loben können, daß er fast platzt vor Freude. Was können Hundebesitzer die Freude doch großreden. Da kann das Leckerli noch so klein sein, das wird für den Hund zu einem Mammutknochen. Da wird gesucht, gekramt, gefunden. „Was habe ich denn da? Was ist das fein. Oh, was ist das für ein feines Leckerli.“ Ich kenne Frauen, die mit ihrem Kind auf einem Schlitten sitzen und damit diesen kleinen Pfad hinunterzuckeln, und doch so tun können, als sausen sie mit Karacho die Eigernordwand hinunter. Da wird angeschoben und gejauchzt, da wird geschrieen und festgeklammert. Was wird alles ein Abenteuer, wenn wir es nur wollen. Wer kennt das nicht? Manchmal muß man sich über ein Geschenk freuen, nur weil es selbstgebastelt ist. Da wird Schauspielkunst eingefordert und das in einem Zustand, wo man eigentlich enttäuscht ist. Alle fürchten selbstgestrickte Pullover, von denen man beim Anprobieren schon weiß, daß man sie bei nächster Gelegenheit einem Hilfsprojekt überstreifen wird. Schon Kinder können Enttäuschungen durch nachgemachte Freudenjauchzer ersetzen, um Schenkende nicht zu enttäuschen. Was wir alles erhöhen können. Wir Glücksdarsteller. Wir Froschkönige. Eines ist aber sicher. Glück ist möglich, wenn es nur wollen.
 
5. März: Es war kein Aberglaube, der ihn manchmal aufrüttelte. Er sah nur manche Nebensächlichkeiten als bedeutende Zeichen an, um dem Alltag auf die Spur zu kommen. Heute hatte er ungelogen sieben Mal hintereinander gehustet und deshalb beschlossen, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Er hatte mal an einem Tag, als die Birne seiner Schreibtischlampe geplatzt war, ein Rendezvous mit einer Mediamarkt- Mitarbeiterin ausfallen lassen. Natürlich steht das alles nicht wirklich in einem Zusammenhang, aber der Mensch braucht Führung. Er sucht Entscheidungshilfen. Er beobachtet den Vogelflug und das Verhalten des Mondes und macht sich seinen Reim darauf. Ich habe in meiner Dusche einen Wischer, mit dem man die nassen Duschwände trocken wischen kann. Dieser Wischer hängt mehr schlecht als recht an einem Saugnapf, der mit seinem Haken auch Waschlappen tragen könnte. Oft kommt es vor, daß dieser Wischer mitsamt dem Saugnapfhaken in die Duschwanne stürzt und alles mit sich reißt, was unter ihm plaziert war. Ich stelle oft meine vollen und leeren Shampooflaschen auf dem Wannenrand ab. Ich kann nun, wie bei einem Kegelspiel, mein Schicksal herausfordern. Stürzt der Wischer auf die Flaschen, reißt sie um, zähle ich die gefallenen Shampooflaschen und leite daraus mein Unglück ab. Gestern hatte ich großes Glück. Acht Shampooflaschen und zwei Seifendosen lagen umgestürzt in der Wanne. Das stand nichts mehr in Reih und Glied. Der Wischer hatte ganze Arbeit geleistet. Er hatte bei seinem Sturz alles umgerissen, was ihm in die Quere kam. Ich habe gleich den Tag mit einem Lächeln begonnen und bin sicher, daß ich noch umarmt werde.
 
7. März: Ballade vom dicken Hund. 1. DROPS 2. MOPS 3. HOPS
 
8. März: Im Supermarkt Ich stand an der Kasse und packte meine Plastiktüte voll. Das Display der Kasse zeigte einen Betrag von 34,34 an. „Es macht 34 Euro 34“, sagte die Kassiererin mit einem Akzent, als käme sie von weit her. „34,34 macht es“, wiederholte ich überflüssigerweise, als wollte ich ganz sicher gehen, daß wir uns verstanden haben. Die Kassiererin nickte. Ich kramte schon das Geld aus meiner Hosentasche, als ich eine Stimme hörte. „34,34 da machen sie doch sicher was draus“, sagte die Frau, die in der Schlange hinter mir gestanden hatte. „Das habe ich gerade auch gedacht“, meldete sich nun der Mann hinter ihr, der gerade seine Waren auf das Kassenband wuchtete. „Was soll ich denn aus 34 Euro 34 machen?“, fragte ich verwundert. Die beiden lachten. „Da wird ihnen schon was einfallen“, sagte die Frau. „Darüber lesen wir bestimmt bald in ihren Büchern.“ Ich schüttelte den Kopf. Was soll mir schon zu 34 Euro 34 einfallen? Bin ich Gott, wächst mir Gras aus meinen Händen? Als ich meinen Einkaufswagen in die Einkaufswagenparkstation brachte, hielt direkt neben mir ein Bus. Die Tür öffnete sich und 34 Chinesen stürmten aus dem Wagen und fotografierten mich vor dem Supermarkt. Einer der Chinesen drückte mir 34 Cent in die Hand und lächelte, als hätte ich einen Bastrock an und er würde einen Eingeborenen beschenken. Ich war nicht wirklich überrascht. Das Leben überrascht mich oft mit solchen Geschichten. Ich sollte eigentlich dafür dankbar sein.



© Erwin Grosche
- für die Musenblätter 2012

Redaktion: Frank Becker