Mein lieber Herr Marquis!

Johanna von Koczian und Horst Maria Merz in "Glorious!"

von Frank Becker
„Die zarten Kadenzen meiner Stimme
oder
Mein lieber Herr Marquis!
 
 
Johanna von Koczian und Horst Maria Merz in Peter Quilters Komödie „Glorious!“
 
Regie: Martin Woelffer – Bühne & Kostüme: Julia Hattstein
Besetzung:  Florence Foster Jenkins (Johanna von Koczian) – Cosme McMoon (Horst Maria Merz) – Dorothy (Ute Willing) – St. Clair Bayfield (Anton Rattinger) – Maria (Vanessa Perez) – Mrs. Verindah-Gedge (Ev-Kathrin Weiß)
 
Florence Foster Jenkins (1868-1944) war ein Phänomen. Ein tragisches, notabene. Als Sängerin

Johanna von Koczian als Florence - Foto © Oliver Fantitsch
zwar völlig unbegabt, jedoch sehr der Sangeskunst zugetan, setzte sie ihr ererbtes Vermögen dafür ein, vor ausgesuchten Mitgliedern der New Yorker Gesellschaft, vornehmlich Frauenvereinen, Konzerte zu geben, die unsterblich wurden – ihrer grandiosen Schrecklichkeit wegen. Wer je die tatsächlich vorhandenen Schallplattenaufnahmen ihrer Versionen von „Der Hölle Rache“ aus Mozarts „Zauberflöte“, Adeles Lacharie „Mein Herr Marquis“ aus der „Fledermaus“, Leo Delibes´ „Glöckchenarie“ oder das hinreißende für sie von Cosme McMoon komponierte Liedchen „Like A Bird“ gehört hat, weiß was Leiden ist.
 
Die zarten Kadenzen meiner Stimme
 
Das Leben und beinahe unfaßbare Wirken dieser Unbeirrbaren, einer Frau von starkem Charakter und großer Menschenliebe, hat nicht nur einen Autor verführt, es auf die Bühne zu bringen. Zwei große Berliner Theater haben in jüngerer Zeit Inszenierungen angeboten, das Renaissance-Theater mit Stephen Temperleys „Souvenir“ und die Komödie am Kurfürstendamm Peter Quilters Komödie „Glorious!“, von der ich Ihnen heute erzählen möchte. Dieses von Martin Woelffer inszenierte und ausdrücklich als Komödie ausgewiesene Stück läßt zwar auch die Tragik der Florence Foster Jenkins durchschimmern, ist aber mehr darauf angelegt, die liebenswert-groteske Seite der Geschichte in den Vordergrund zu stellen. Das gelingt nicht allein durch die starke Bühnenpräsenz von Johanna von Koczian und Horst Maria Merz, auch die von Horst Johanning punktgenau ins Deutsche übersetzten Pointen und Dialoge – auch die unverständlichen spanischen - tragen ein Gutteil dazu bei.
„Meine Welt sind die Bretter!“ – „Sind sie Tischler?“ – „Nein, Schauspieler.“ (St. Clair)
„Ich liebe die Amerikaner, obwohl ich nicht einen ganzen essen könnte.“ (St. Clair)
„…die zarten Kadenzen meiner Stimme.“ (Florence)
„Man gebe mir das Herz eines Theaterkritikers; ich möchte eines, das noch nie benutzt worden ist!“ (St. Clair)
 

Horst Maria Merz, Johanna von Koczian
Foto © Oliver Fantitsch
Warum suchst Du mich heim so schwer?
 
Die Story ist Insidern bekannt: Florence Foster Jenkins, die all ihr Vermögen für ihre „Karriere“ einsetzte, konnte diese mit einem Konzert in der Carnegie Hall – sie war immerhin schon 76 Jahre alt - vor über 3.000 Zuhörern im Saal und ungezählten Radiohörern krönen, wenn auch nicht so, wie sie es geglaubt hatte. Die Kritiken waren so vernichtend, daß sie wenige Wochen später starb. Ich schließe mich jenen an, die behaupten, an gebrochenem Herzen. Stets und bis zum Ende an ihrer Seite der Pianist Cosme McMoon, der, so will es die Literatur, zunächst wegen der lockenden Gage, schließlich aus gewachsener Treue Florence treu blieb. Horst Maria Merz, selbst ein hervorragender Pianist und an der Komödie am Kurfürstendamm für die Musik unverzichtbar - als Erwin Bootz im Dauerbrenner „Comedian Harmonists“ seit Jahren erfolgreich -, gibt den zwischen Grauen und Zuneigung taumelnden Begleiter am Klavier. Er schafft diese Gratwanderung mit zurückhaltendem Charme.
 
Mein lieber Herr Marquis!
 
Es ist sicher einfacher, sauber zu singen, als sein Harmonieverständnis so zu vergewaltigen, wie es die Darstellerin der Florence Foster Jenkins tun muß. Das spürt man, wenn Johanna von Koczian sich in wenigen Momenten von der Melodie überrumpeln läßt und „ordentlich“ singt. Dann aber gelingt es ihr, die großen Arien aus Tosca, Fledermaus und Zauberflöte derart zu versemmeln, daß kein Auge trocken bleibt. Zum Fürchten gut. Doch sie gibt die Florence als liebenswert selbstüberzeugte Dilettantin so angenehm bescheiden, daß man ihr, Koczian/Florence sogar der Hölle Rache verzeiht. Besonders charmant an ihrer Seite die herrliche Ute Willing als treue Freundin Dorothy, die gerne nichts anbrennen ließe und in der Rolle des auch profitierenden Freundes und Bonvivant St. Clair Anton Rattinger. Eine hervorragende Erscheinung auch Ev-Kathrin Weiß in der nicht unwichtigen Nebenrolle der gegen die Sanges-(Un)Taten der Florence zu Felde ziehenden Mrs. Verindah-Gedge.
Ein vergnüglicher Abend, der trotz langer Tournee (das Gastspiel in Velbert war das letzte auf der Liste) und nur zu zwei Dritteln gefülltem Haus mit Anstand, zu Teil sogar mit Verve gegeben wurde.


v.l.: Johanna von Koczian, Ute Willing, Ev-Kathrin Weiß, Anton Rattinger - Foto © Oliver Fantitsch

Hörtip: Florence Foster Jenkins – „The Nightingale – Der Hölle Rache“ – Membran International (www.membran.net) und  Florence Foster Jenkins - Glory of the Human Voice - RCA
 
Weitere Informationen: www.theater-am-kurfuerstendamm.de