Respekt vor WasserspĆ¼lungen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Die Anmut meines Eiskratzers
und
Respekt vor Zahnarzt-Töchtern


12. Februar: Mein Autofenstereisabkratzer wurde von einem Künstler gestaltet. Er ist hellgrün und unter der Abkratzseite zieren Löcher den eigentlichen Funktionsteil. Das Kunstwerk besticht durch Anmut und Griffigkeit. Es soll wohl einem Fragezeichen ähneln. Vielleicht dadurch seine eigene Tätigkeit in Frage stellen. Ich muß aber zugeben, daß mir dies ziemlich egal ist. Wenn ich morgens um 6 Uhr damit meine Autofensterscheibe frei kratze, dann stelle ich keine Fragen. Ich schiebe den Abkratzer über die Scheiben und hoffe, daß er funktioniert. Es gibt Augenblicke, da finde ich ihn schön. Meistens scheint dann aber die Sonne und ich habe frei.
 
13. Februar: Herr Brommer seufzte: „Es gibt wohlklingende Sätze, die lassen einem das Herz bis zum Himmel hüpfen. Kürzlich hörte ich einen Satz, der war so schön, daß mir spontan Tränen aus den Augen liefen.“ „Was war das denn für ein Satz“, fragte Agathe. Herr Brommer schaute sich um, als wollte er sicher sein, daß ihnen niemand zuhörte. „Ich traf mal einen Häusermakler“, sagte er dann,  „der mir auf dem Weg zur Toilette zuflüsterte: Eine gute Wasserspülung ist schon die halbe Miete. Da hab´ ich echt dran zu kauen gehabt.“
„“Da hab ich echt dran zu kauen gehabt“, ist auch ein schöner Satz“, sagte Agathe und zog lachend ihre Strümpfe an.

15. Februar: Die Tochter des einzigen Zahnarztes des Ortes wurde mit großem Respekt behandelt.
 
17. Februar: Optiker hängen gerne Roger Willemsen Plakate auf, da er als Brillenträger nicht so aussieht, als wenn er wirklich eine Brille brauchen würde. Es gibt immer noch viele Politiker, die eine Brille nur tragen, um den Eindruck zu erwecken, als wären sie klug. Das sieht dann total imposant aus. Apropos. Die neue Brille von Westerwelle macht ihn endlich sympathischer. Welch ein Glück.
 
18. Februar: Es war auf der Fahrt nach Schloß Neuhaus, als die Mineralwasserflasche komische Töne von sich gab. Sie lag vorne im Fußraum des Beifahrersitzes. Mein Hund und ich schauten uns an. Wir kannten das schon, daß Plastikflaschen manchmal aufstöhnen, wenn man sie zu zügig austrank und ihr die Luft entzog, die ihre Form ausmachte. Aber diese Töne waren anders. Sie klangen leicht verhuscht, als wären sie ein Lebenszeichen, daß sich nicht ganz sicher ist, ob es überhaupt gehört werden will. Wie ein Aufseufzen eines Selbstmörders, der schon gerettet werden will, aber dann nicht mehr wüßte, wie es weiter gehen soll. Die Flasche meldete sich mit einem heiseren: „Hier bin ich“, als hätte sie Angst vergessen zu werden, wäre ansonsten aber nicht auf unsere Anwesenheit scharf. Tatsächlich war noch ein kleiner Rest Mineralwasser in der Flasche. Es war nicht viel, aber genug um getrunken werden zu können. Der Flasche kann geholfen werden.



© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2012
Redaktion: Frank Becker