Krabbeln auf Theaterart

„Die Wanze“ - ein „Insektenkrimi“ von Paul Shipton

von Martin Hagemeyer

Foto: WTT
Krabbeln auf Theaterart
 
Claudia Sowa inszeniert füs Westdeutsche Tourneetheater
den „Insektenkrimi“ von Paul Shipton
 
„Die Wanze“
 
Inszenierung: Claudia Sowa – Ton/Musik: Nils Weiß – Bühnenbild: Peter Strieder – Kostüm: Lolita Erlenmaier.
Besetzung: Wanze Muldoon: Björn Lukas.
 
Andeuten statt aus-illustrieren, Fantasie anregen statt Filmrealismus kopieren: Man könnte große Worte machen um die besonderen Möglichkeiten, die das Theater Menschen unserer Zeit, vor allem jungen, bieten kann. Beim Westdeutschen Tourneetheater Remscheid gibt es mit dem Kinderstück „Die Wanze“ zu erleben, daß es viel mehr Spaß macht, zu diesem Thema Theater zu spielen – und es ist eines dieser Kinderstücke, bei dem auch das Erwachsensein einmal wirklich kein Hindernis dafür ist, in Begeisterung zu geraten.
 
Und das, obwohl es in der Inszenierung von Intendantin Claudia Sowa nur einen Darsteller gibt: Björn Lukas spielt nicht nur Wanze Muldoon, den titelgebenden Privatdetektiv, sondern auch alle anderen Beteiligten in diesem „Insektenkrimi“ von Paul Shipton – als da wären: lispelnde Wespen, renitente Regenwürmer, amoralische Ameisen (der Ameisenoffizier spielt nämlich ein hinterhältiges Spiel). Und um die Verwirrung komplett zu machen: Wanze Muldoon ist eigentlich überhaupt keine Wanze, sondern ein Käfer. Warum dann der Name?
…Darüber spricht er nicht gern.
 
An der Geschichte, die das Insekt mit unklarer Identität als Rahmen des Stücks erzählt, während es in Trenchcoat und Sonnenbrille seinen Lieblingsdrink an der Bar nimmt (Rosenblätter auf Eis) – an dieser eher typischen Abenteuergeschichte allein kann das beträchtliche Vergnügen nicht liegen: Diverse Kriechtiere kriegen sich mit sonstigem Ungeziefer in die Haare, pardon: Fühler, bis der Held die Guten rettet. Aber: Theater kann eben mehr.
Zur Freude des verzückten Publikums spannt Björn Lukas das gesamte Bar-Inventar in seine One-Bug-Show ein und erweckt es zu ungeahntem Leben. Ein Griff genügt, und zwei abgestellte Flaschen mischen sich als vitale Ameisen in Wanze Muldoons Erzählungen ein. Zwei silberne Aschenbecher kommen angepappt gerade recht als Schulterklappen des erwähnten Verräters; und sogar glubschäugige Klobürsten tauchen urplötzlich hinter der Theke aus der Versenkung auf und mutieren zu geschwätzigen Kakerlaken. Damit nicht genug: In der schweißtreibenden Verfolgungsszene gegen einen Schwarm Wespen gerät die Wanze auf offener Bühne (Szenenapplaus!) ins Fliegen; und wenn es auf den Weg in die geheimen Ameisenkatakomben geht, erklimmt Lukas kurzerhand die Theke, um nach einem beherzten Sprung in Zeitlupe dahinter zu verschwinden.
Lukas? Irrtum. Dies ist nicht Björn Lukas.
Vielmehr: Wem wir da zuschauen, das ist die Wanze selbst; dieser abgebrühte Muldoon, der zur Illustration seiner Heldentaten in aller Lässigkeit die Puppen tanzen läßt. (Daß wir auch in seiner Wespe die Wanze sehen, ist dann natürlich sehr wohl Verdienst des tollen Schauspielers.) Und zu Puppen machen kann einer wie Muldoon: so ziemlich alles.
 
So führt „Die Wanze“ die Mittel des Theaters mit mehr als einem außerordentlich sympathisierenden Augenzwinkern vor – und verstärkt zugleich den enorm komischen Kontrast zwischen all der wuseligen Geschäftigkeit und Muldoons unerschütterlicher Souveränität („Ich wußte: Spinnen waren beliebte Auftragskiller, um Gegner zu eliminieren. Keine Spuren. Keine Zeugen.“). 
 
Am Ende hat man zwar nicht mehr erfahren, warum also Muldoon sich denn nun Wanze nennt. Und selbst was Wanzen eigentlich genau sind, wird immer noch nicht jeder Zuschauer so recht sagen können. An einem aber kann nach diesem Feuerwerk von Witz und Krabbel-Charme kein Mensch von Verstand mehr zweifeln (Muldoon mutmaßt allerdings, die gibt es gar nicht): Wanzen sind sehr, sehr coole Tiere.
 

Weitere Informationen und Termine: www.wtt-remscheid.de