Alptraum im Spießbürgermief

Klaus-Peter Wolf - "Traumfrau"

von Frank Becker
Frauen aus dem Katalog

1989, D-Mark-Zeit.
Die Welle des boomenden Sex-Tourismus von Deutschland nach Thailand. Ein Kaff irgendwo in der Provinz, das, weit von der Kreisstadt, den Anschluß an die Welt verloren hat. Fünf Männer, die, so scheint es, sich darin ergeben haben, in der mit den Jahren gewachsenen Distanz zu ihren Frauen oder in Einsamkeit ihre Zeit auf dieser Erde abzusitzen. Sie haben ihr Leben verpaßt, vermurkst, verschleudert, sind darum betrogen worden - oder haben es wie der 26-jährige Martin Schöller noch gar nicht beginnen können. Glauben sie. Sie hocken abends am Stammtisch der "Linde", trinken Bier, spielen Skat und gemeinsam Lotto - und sind niemand.

Hans Wirbitzki, ehemaliger Bergmann, seine fleißige Frau Hanne führt die "Linde", hat ein Geheimnis, das ums Verrecken nicht öffentlich werden darf, Günther
Ichtenhagen, herzkrank, früher Lehrer, trauert seit dem Tod seiner Frau, der angestellte Metzger Hermann Segler ist vom Leben und vom Lebensmittelladen seiner Frau desillusioniert, und der Bauer Wolfhardt Paul, dessen dicke Frau Uschi nicht nur für die Post, auch für den Klatsch im Dorf zuständig ist, träumt von Anerkennung. Und da ist dann noch der Benjamin der Runde, Martin Schöller (26), der sich als Fernfahrer ausgibt, aber nur Beifahrer ist, noch unter der Fuchtel seiner Mutter steht und seine Kindheitskomplexe durch intensives Bodybuilding abzuarbeiten versucht. Er wird eine besondere Rolle einnehmen.

Die Welt ändert sich, als die fünf beim Lotto eine bescheidene Summe gewinnen und die Chance sehen, wenigstens einmal aus dem Einerlei auszubrechen, sich den Wunsch nach einem geheimen Traum zu erfüllen: einmal, nur einmal Sex mit einer dieser geschmeidigen, willigen, gehorsamen jungen Thai-Frauen zu haben, samtige Haut und junges, frisches Fleisch zu fühlen. Dafür wollen sie ihr Geld einsetzen. Aber nicht in den Eros-Club am Ort wollen sie gehen - sie könnten gesehen werden - Günther Ichtenhagen soll als seriöser Witwer zum Schein nach dem Katalog-Angebot eines Zeitungsinserats eine Thailänderin heiraten, die in sein Haus ziehen und dann dort allen zum Sex zur Verfügung stehen soll: die Traumfrau. Schön soll sie sein, jung - und stumm, um nichts ausplaudern zu können. Die Wahl fällt auf Mary. Schon dieser gemeinsame skrupellose Entschluß, vor dessen Folgen Ichtenhagen selbstbetrügerisch die Augen verschließt, legt die moralische Verkommenheit der fünf Männer offen, die Klaus-Peter Wolf exemplarisch für die Spezies Mann skizziert.

Aus der perversen Idee wird eine immer abstrusere Obsession, deren Verlauf für jeden der Protagonisten zunehmend dramatische bis fatale Wendungen nimmt, die Niedrigkeit ihrer selbstmitleidigen, frauenverachtenden Pläne offenbart und den Biedermännern, auch denen um sie herum, endgültig die Maske vom Gesicht zieht. Wolf versteht es, auf 300 Seiten Menschen so packend zu skizzieren und Ereignisse und Rückblicke mit atemberaubendem Tempo abrollen zu lassen, daß der Leser trotz aufkommender Übelkeit gebannt ist. Zugleich versagt sich Wolf, in letzter Konsequenz in ekelhafte Details zu gehen - doch seinen sparsamen Andeutungen, den angerissenen Szenen und den geschilderten Folgen fehlt nichts an deutlicher Aussage. Dabei gibt er nicht den Moralisten, sondern protokolliert mit deutlichem Abstand den sich zuspitzenden Lauf der Ereignisse. So verkneift er sich auch, dem lesenden Voyeur in die Hand zu spielen, indem er z.B. völlig auf eine optische Beschreibung Marys verzichtet. Er weckt vielmehr sensibel das Mit-Leiden mit dem gequälten Menschen, der entwürdigten Frau. So überraschend und erschreckend die Wendungen des Romans sind, so geschickt und offen gestaltet Wolf auch den Ausgang.

Für seinen 1989 erstmals erschienenen und nun bei Pendragon mit großer Resonanz neu aufgelegten Roman hat Klaus-Peter Wolf in den 80ern intensiv recherchiert, sogar selber eine Firma gegründet, um in den gewerblichen Frauenhandel einsickern und ihn von innen kennenlernen zu können. Sein beinahe unglaublicher Erfahrungsbericht schließt als Appendix zum Roman das ungemein spannende, erschütternde Buch.

Beispielbild

Klaus-Peter Wolf
Traumfrau

© 2011 Pendragon Verlag

303 Seiten, Broschur
10,95 €

Weitere Informationen:
www.pendragon.de