Kleine (große) literarische Kostbarkeiten

Ralf Georg Bogner - Ottakringer Sterbensläufte"

von Frank Becker
Literarische Brillanten

"Slonek" und "Die Mini-Bar"

von Ralf Georg Bogner


Wenn ein Text trotz seines geringen haptischen Volumens dennoch von geradezu monumentalem erzählerischem Rang ist, darf, ja muß er als ein literarischer Geniestreich bezeichnet werden. Gleich zwei solche brillante Texte, also Geniestreiche halte ich in der Hand, zusammengefaßt in einer schmalen, flexiblen Broschur von gerade mal 82 Gramm Gewicht. Die wenigen - es sind 52 - in Bodoni 12 auf 14 Punkt bedruckten Seiten jedoch haben mit ihren beiden Erzählungen weit mehr Gewicht als manch nobelpreisgewürdigte wuchtige Prosa. Die Rede ist von Ralf Georg Bogners im Berliner Elfenbein Verlag erschienenem kostbaren Bändchen "Ottakringer Sterbensläufte - Zwei Wiener Geschichten". Bogner erzählt darin mit delikatester Sprache und
in opulenten Bildern mit tiefem, schwarzem Humor vom erbarmungswürdigen Leben und Sterben zweier aus der Gesellschaft gefallener, im Grunde bereits vor ihrem grotesken Tod gestorbener Menschen.

Daß Bogner Ottakring als Umgebung für seine Sterbensläufte ausgewählt hat, kommt sicher nicht von ungefähr - der in einem merkwürdig zwischen Bürgerlichkeit und Verfall gelegene
16. Bezirk im Nordwesten Wiens scheint genau das zu atmen, was die besondere Atmosphäre von Bogners Geschichten ausmacht. Fühlt man sich auch von den Lebensgewohnheiten der Protagonisten nicht unbedingt angezogen, sondern eher befremdet, liest man dank Bogners saftiger Erzählkunst doch Blatt um Blatt gierig weiter, schlingt beim ersten Lesen mit größter Lust die den Charakteren geschuldet gelegentlich wenig appetitlichen Schilderungen herunter - um beim zweiten Lesen dann genüßlich Idee für Idee, Satz für Satz, Formulierung für Formulierung zu zerkauen, um nicht die kleinste Kleinigkeit der köstlichen Worte zu versäumen. Es sind Brillanten. Bogner malt Bilder, die sich im Kopf sogleich zu Filmsequenzen umformen, die Besetzung mit Charakterschauspielern eingeschlossen, hierbei besonders in den Figuren des Zutzelmoser, der zwanzig Jahre zuvor Kurt Sowinetz (1928-1991) auf den Leib geschrieben gewesen wäre und der des Kramlmayr, den man idealtypisch mit Oliver Nägele besetzen müßte.
Die beiden literarischen Kostproben Bogners sind nicht nur ganz besonders schmackhafte Bonbons
oder besser: Schmankerl; mit das beste, was es in den letzten Jahren zu lesen gab und daher eine besonders herzliche Empfehlung der Musenblätter wert, sondern auch erfolgreicher Kandidat für unsere Auszeichnung: den Musenkuß.

Ralf Georg Bogner - "Ottakringer Sterbensläufte - Zwei Wiener Geschichten"
© 2011 Elfenbein Verlag, 59 Seiten, Klappenbroschur, Fadenheftung, ISBN 978-3-941184-11-4
€ 16 [D] / € 16,50 [A] / sFr 27,70

Weitere Informationen: www.elfenbein-verlag.de