Wenn wir mal so weit sind

Eine Frieda-Geschichte

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Wenn wir mal so weit sind
 
Eines schönen Tages, als die Frieda mich und ich die Frieda nahm, machten wir uns auf den Weg, um eine Wohnung zu finden. Das war gar nicht so einfach, denn die Leute hielten mich für einen Gaukler, und zur Frieda sagten sie immer noch ,Frollein‘ oder ,Frolleinsche‘, obwohl wir unsere Eheringe deutlich zur Schau trugen. Streckenweise gingen wir von Haus zu Haus, klingelten oder klopften und fragten, ob wir gefragt wären und ob das Dach wohl wasserdicht wäre. Die meisten Dächer waren es nicht und die anderen Leute waren für uns zu vornehm oder zu dumm. Wir wären sogar auf einen Speicher gezogen, denn das Wasser stand uns bis zum Halse. Siehst du, sagte ich zur Frieda, du hattest bei der Trauung keinen weißen Schleier, dafür bekommen wir jetzt kein Zimmer; der liebe Gott ist unbestechlich. Aus der Traum.

Wir werden schon noch eins bekommen, sagte die Frieda, es gibt immer noch Menschen, die ihre ganze Miete nicht allein tragen können. Und so standen wir eines Morgens mit unserem Leiterwägelchen vor einem riesigen Haus, das wie eine Kaserne aussah.  Hier möchte ich nicht geboren werden, sagte ich, aber wir haben keine Wahl, und die Frieda war darin anders, sie guckte sich rasch die Namen neben den Klingelknöpfen an, zählte kurz ab, verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, und drückte dann auf einen der vielen Knöpfe.

Wir hatten damals noch keine grauen Haare. Aber wir hörten sie kommen. Die Tür öffnete sich. Wir stammelten zum letztenmal unsere Frage, denn wir hatten zum erstenmal: Glück. Wir bekamen ein Dach über den Kopf und Boden unter die Füße und vier Wände für unsere Gedanken. Das war wichtig, denn wo soll man seine Gedanken hinlegen, wenn man nicht weiß, wohin mit dem Kopf. Herz war damals sowieso nicht erbeten. Es drehte sich alles um die nackten Tatsachen. Tatsache war, daß wir zunächst den Holzfußboden vierhändig abschrubbten. Es wurde zwar kein spiegelblankes Parkett, aber wir sparten den Teppich. Ich sammelte Plakate, Reklamefetzen und Titelbilder aus Kunst, Wissenschaft und Politik und machte daraus an einer Wand einen Tapetenersatz. Aber nach einer Woche riß ich die ganze Montage wieder runter. Was soll mir dieser spätromantische Zirkus, sattsehen macht hungrig. Sattessen, sagte die Frieda, können wir uns immer noch. Und wenn wir mal soweit sind, dann kaufen wir uns eine richtige Wohnung. Und vielleicht auch ein Kind, sagte ich. Ich hätte die Plakate hängen lassen, sagte die Frieda. jeder, der hier hereinkommt, hätte dann direkt gewußt, daß du ein Künstler bist. Ich will aber keiner sein, sagte ich, ich brauche auch keinen Schreibtisch, ich schreibe im Stehen, hat Goethe auch gemacht. Ja, Goethe, sagte die Frieda, das war auch ein Olympier und Geheimrat, der wußte, was er wollte. Ich wollte, ich könnte das, was ich wüßte, verkaufen, dann könnten wir uns einen Gasherd auf Stottern leisten. Gottseidank haben wir ein Einmachglas, sagte die Frieda, hat meine Mutter über den Krieg gerettet, da können wir eine Blume reintun, damit wir merken, daß Sonntag ist, oder wenn wir uns auf den Sommer freun. Wenn wir erstmal so weit sind, sagte ich, können wir uns bestimmt eine richtige Vase kaufen.

Unser Zimmer hatte zwei große Fenster. Wenn man durch sie hindurchguckte oder sie öffnete, konnte man direkt den Rhein sehen. jede Menge Wasser. Mir fiel ein, daß ich mal zu meinem Großvater gesagt hatte: Wenn ich mal groß bin, will ich Lokomotivführer werden. Bis dahin, mein Junge, sagte mein Großvater, fließt noch viel Wasser den Rhein hinunter. Und er hat recht behalten.
Lokomotiven führen kann man lernen, aber ein Leben führen, in einem Zimmer, zu zweit, vielmehr zu zweieinhalb, das will behutsam angefaßt werden, sonst zerbricht selbst ein Einmachglas, und der Sommer läßt dann lange auf sich warten. 
 
 
 Aus: Von Windeln verweht (1961) / Der Große Hüsch - Band 2 (2011)

© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 2" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.