In der Hand des Pharo

von Erwin Grosche

In der Hand des Pharo


Frau Marscheztke führte einen Krimskrams-Laden. Ihr Warenangebot richtete sich nach Bedarf und Nachfrage. Ich sah schon Autoteile in ihrem Verkaufsraum liegen und wunderte mich nicht. Gestern stand ich dort und wartete auf Frau Marscheztke. Es roch nach Zigarettenqual, obwohl ich Frau Marscheztke noch nie rauchen gesehen hatte. Mir war ein Plakat an ihrer Eingangstür aufgefallen, wo auf das Auftreten des Hypnotiseurs Pharo hingewiesen wurde. Ich kannte Pharo aus dem Fernseher. Ein Mann mit zweifelhafter Ausstrahlung, der seine Gegenüber dazu bringen konnte, sich zu jucken, wenn es sie nicht juckte. Frau Marscheztke kam aus einem ihrer hinteren Räume. Sie fragte weder was ich wollte, noch begrüßte sie mich. Ich fragte also: „Liebe Frau Marscheztke, was haben sie denn mit diesem Pharo am Hut?“ Frau Marscheztke lachte ein wenig, um sich ihre Antwort zu überlegen. Ich befürchtete schon, daß dieser Hypnotiseur ihr mißratener Sohn war oder ein schwarzes Schaf der Familie Marscheztke.
„Ach ja“, sagte sie. „Wir managen seinen ganzen Postversand.“
Sie hustete übertrieben laut und lange. Auf einmal verstand ich, wieso sich im Laden von Frau Marscheztke immer mehr Plunder und Ladenhüter ansammelten. Hier war ein Hypnotiseur am Werk, der austestete wie weit man bei seinem Gegenüber und in diesem Falle, Frau Marscheztke, gehen konnte.
„Freiwillig?“, fragte ich.
Frau Marscheztke schaute mich erstaunt an.
„Ich meine“, betonte ich. „Arbeiten sie für ihn freiwillig, oder hat er sie in seinen Bann gezogen?“
Da schüttelte sie den Kopf und lachte rauh. Ich sah aber, daß ein ernster Zweifel in ihr bohrte. Hatte sie sich nicht gestern nackt in ihrer Badewanne gefunden und dabei überrascht, wie sie Trompete gespielt hatte? Da hatte sie sich doch so geschämt, weil sie gar nicht Trompete spielen konnte, auch wenn das Stück, womit sie ihren Nachbarn zur Weißglut gebracht hatte, angeblich das Ferntrompetenmotiv aus Beethovens Fidelio gewesen war.



© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2012
Redaktion: Frank Becker