Weihnachtsgedanken 2011

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Weihnachtsgedanken 2011

Wenn diese Weihnachtsgeschichte nicht wirklich wahr wäre, würde ich sie nicht erzählen.
Ich bin ein ernsthafter Mensch geworden. Weihnachten ist mir dadurch ein Greuel. Ich kann dem Fest nichts mehr abgewinnen, und bin froh, wenn diese Tage des Lügens und Geldverdienens vorüber sind. Kürzlich erzählte mir eine Bibliothekarin aus Bad Homburg von einem kleinen Jungen, der einen Wunschzettel ausgefüllt hat. Ich weiß nicht, ob die heutigen Kinder dazu den Computer benutzen oder eine E-Mail verfassen und dem Weihnachtsmann eine Botschaft smsen. Ich weiß nicht, ob die aufgeklärten Kinder überhaupt noch an Christkind und Weihnachtsmann glauben oder nur so tun, um uns unsere Weihnachtsfreude nicht zu verderben. Diese Bibliothekarin also erzählte mir von dem Wunschzettel des Kindes, den es für das Christkind verfaßt hat. Drei Wünsche lagen dem kleinen Jungen am Herzen. Er wünschte sich den kleinen Lego, eine Kette mit Edelsteinen und einen Menschenknochen. „Einen Menschenknochen?“, fragte ich erstaunt. Die Bibliothekarin wußte auch nicht, warum das Kind einen Menschenknochen haben wollte. Ich warf auch ein, daß selbst die Kette mit Edelsteinen, wenn sie denn echt sein soll, auch schwierig zu beschaffen wäre. Natürlich war der kleine Lego, der Erstbausatz einer Bastelfirma, ein vernünftiger und angemessener Wunsch. Alle, die heute in der Welt gut dastehen, begannen die großen Zusammenhänge dadurch zu verstehen. Was ist aber von der Kette mit Edelsteinen und dem Menschenknochen zu halten? Ich habe lange darüber nachgedacht und versuchte mit dem Kopf zu begreifen, was nur mit dem Herzen zu verstehen ist. Es ist doch alles ganz einfach. Was braucht man im Leben mehr, neben dem kleinen Lego, als eine Kette mit Edelsteinen? Wer bricht aus zum Kampf gegen das Böse ohne einen Menschenknochen? Wir leben in wunschlosen Zeiten, da sind Edelsteinketten und Menschenknochen wichtige Wegbegleiter. Wer fragt da nach Sinn und Notwendigkeit? Als Nahrung unserer Träume brauchen wir keine erfüllbaren Wünsche. Wirklich Wünsche zu haben ist unser Ziel. Wir bekommen Kraft durch Visionen. Wir streben nach Glück, gerade weil es unerreichbar ist. Manche glauben, daß die Geschenke der drei Weisen aus dem Morgenland, diese ersten Geschenke an ein Menschenkind, eher symbolischer als praktischer Natur waren? Was soll ein Kind mit Weihrauch, Gold und einer Möhre anfangen? Glauben Sie mir, Kinder brauchen diese Dinge mehr als einen Laptop. Der Weihrauch verbirgt unsere Zweifel, das Gold erfüllt unsere Träume und die Möhre hat Vitamine. Alles hat seine Bedeutung. So ist es auch mit dem kleinen Lego, einer Kette mit Edelsteinen und dem Menschenknochen. In diesen Kinderwünschen erfüllt sich der große Weihnachtsgedanke: Glaube an das Unmögliche und du wirst es erlangen. Irgendwann wird ein Menschenknochen der Schlüssel in eine andere Welt sein, wird die Kette mit Edelsteinen das Herz eines Gottes erweichen und du wirst wissen, wo du hin mußt, weil du den Weg schon tausendmal mit dem kleinen Lego aufgebaut hattest. „Laßt uns auf die Reise gehen, anderes Land zu suchen“. Es ist Weihnachtszeit. Es ist Kinderzeit. Die Zeit der Wunder.
 
 

© 2011 Erwin Grosche