Abgenommen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Abgenommen
 
Übrigens: Ich habe abgenommen! 100 Gramm! In Worten: einhundert! Im Urlaub! Wir waren neulich ein bißchen weg. Ausspannen! Aber bei mir hilft das nicht mehr. Wenn ich zurückkomme, muß ich mich erst richtig erholen! Aber ist egal: Ich habe jedenfalls abgenommen! Und meine Frau hat zugenommen: 200 Gramm! In Worten: zweihundert! Wir haben eine Waage, die alles genau angibt. Die spricht sogar: »Sie wiegen heute 79,9!« Es ist tragisch für meine Frau: Ich nehme in den Ferien ab, und sie nimmt zu! Obwohl ich eindeutig mehr esse! Das kommt, weil ich mich im Urlaub mehr bewege und sie weniger - und weil wir früher zu Abend essen. Einwandfrei! Das Wichtigste: Ich habe abgenommen! Ist ja egal wie! Ich bin jetzt unter 80 Kilo. Das ist ein Anfang, darauf kann ich aufbauen! Ich weiß zwar noch nicht wie und wo, aber es kommt der Tag des Herrn, an dem ich kaum zu erkennen sein werde - sage ich immer! Man muß nur konsequent sein und auch mit den Gerichten zu Gericht sitzen! Ja sicher! Zum Beispiel liest man doch immer: »Gebratene Blutwurst«! Die esse ich für mein Leben gern. »Gebratene Blutwurst«! So was Herrliches, wenn die gebraten ist - wenn die wirklich gebraten ist! Da lese ich: »Gebratene Blutwurst auf lauwarmem Senfkartoffelsalat!« Wunderbar! Die nehme ich! »Ist die Blutwurst auch gebraten, Herr Ober?« »Das steht ja da, mein Herr!« Also gut! Aber die Blutwurst ist eben nicht kroß gebraten, sondern nur mal so ein bißchen angebacken! Von wegen kroß oder knackig! Nix, gar nix! Und der Senfkartoffelsalat! Na schön! Meist sollte man sich noch Senf zusätzlich geben lassen. Es stimmt alles nicht mehr: weder die Blutwurst noch der Senfkartoffelsalat! Das beste wäre, alles sofort zurückgehen  zu lassen. Ich verzichte! Aufstehen, mit der Serviette auf den Tisch schlagen, Geld hinschmeißen - man ist ja kein Prellzecher! Bei Meerrettich ist es genau so! Das ist immer nur ein Hauch von einer blassen Ahnung von Meerrettich! Was sollen diese ganzen wunderbaren Würzereien, wenn man sie doch nicht herausschmeckt! Beim besten Gaumen nicht! Bis man die chinesische Ente herausgefunden hat, die wirklich kroß und durchgebraten ist, dauert das Wochen! Wer Brathendl von Brathendl nicht unterscheiden kann, ist auch arm dran! Aber das sind eigentlich alles wunderbare Momente, in denen man das Essen einstellen kann und sich erbost von dannen schleppt. Ich vermute, daß die meisten Süßstofftabletten Placebos sind, so daß ich jetzt schon drei bis vier Tablettchen in eine normale Tasse Tee tun muß. Das ist wie bei der »Gebratenen Blutwurst«! Sie schreiben »gebraten« hin, damit man meint, sie sei »gebraten«! Genau so ist es bei »Senf« und »Meerrettich«! Selbst »Sauerbraten« treibt einem nicht mehr den Schweiß auf die Stirn! Sie sehen: Das beste Mittel, dem Essen aus dem Weg zu gehen, ist, sich mager zu nörgeln! Solange es Spaß macht!



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung