Biodynamischer Landbau in der Toskana

Die Fattoria La Vialla in der Nähe von Arezzo

von Rainer K. Wick

Foto © Rainer K. Wick
Biodynamischer Landbau
in der Toskana
Die Fattoria La Vialla
in der Nähe von Arezzo
 
Ein Landgut der Extraklasse wird besichtigt
 
Seit Jahren bringt mir der Postbote in regelmäßigen Abständen attraktiv aufgemachte und äußerst liebevoll gestaltete Farbkataloge, mit denen das toskanische Landgut La Vialla in der Nähe von Arezzo für seine landwirtschaftlichen Produkte wirbt. Neugierig geworden nicht nur durch diese Kataloge (und gelegentliche Sendungen mit kleinen Kostproben), sondern auch durch die begeisterten Kommentare einiger meiner Bekannten, die schon seit Jahren bei La Vialla bestellen, faßte ich den Entschluß, mir vor Ort einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Ich verließ also die Autostrada del Sole in Valdarno südlich von Florenz, erreichte bald die kleine Gemeinde Castiglion Fibocchi und fand kurz hinter dem Ortsausgang inmitten von Weinbergen und Olivenhainen die von Zypressen gesäumte Auffahrt zur Fattoria La Vialla. Der Zeitpunkt meiner Visite hätte kaum glücklicher gewählt sein können. Kaum hatte ich den Wagen abgestellt, sah ich mich auch schon dem bunten Treiben des diesjährigen Traubenfestes ausgesetzt, das am 28. September anläßlich der zur Neige gehenden Weinernte stattfand.
Es wurde ein durch und durch gelungener Abend mit schmackhaften Speisen und köstlichen Weinen – und mit den drei Brüdern Gianni, Antonio und Bandino Lo Franco als Gastgebern und deren

Die Brüder Bandino, Antonio und Gianni Lo Franco beim Traubenfest
am 28.09.2011 - Foto © Rainer K. Wick
Mitarbeiterteam, die den Anwesenden jenseits geschäftsmäßiger Routine mit einer Freundlichkeit und natürlichen Herzlichkeit begegneten, die in unseren Zeiten Seltenheitswert haben und den Wohlfühlfaktor spontan emporschnellen ließen.

Mag sein, daß sich in Bella Italia, einem Land, das trotz Mafia und Berlusconi immer noch liebens- und lebenswert ist, auch an anderen Orten ähnlich positive Erfahrungen machen lassen. Was aber die Fattoria La Vialla in besonderer Weise auszeichnet, ist die Tatsache, daß hier seit über dreißig Jahren der Boden (inzwischen mehr als 1300 Hektar) nach der biologischen bzw. biodynamischen Methode bewirtschaftet wird – für Italien mit seinem erst allmählich sich entwickelnden ökologischen Bewußtsein geradezu ein kleines Wunder. Und das kam so: Im Jahr 1978 kauften der in der Textil- und Modebranche erfolgreiche Unternehmer Piero Lo Franco und seine Frau Giuliana in der Nähe von Castiglion Fibocchi ein Stück Land mit einem kleinen, zerfallenen Bauerhaus. Schon lange hatte die Landflucht dazu geführt, daß die Bauern diese Gegend verlassen hatten; die Häuser verfielen und die Böden lagen brach. Für das Ehepaar Lo Franco eine Riesenchance. Sie kauften die maroden Behausungen, die sie Stück für Stück instand setzen und im traditionellen toskanischen Stil liebevoll restaurieren ließen, und begannen, das lange ungenutzte Land, das sich zwischenzeitlich von der früheren chemischen Düngung hatte erholen können, ohne industriell produzierte Schädlingsbekämpfungsmittel und synthetische Düngemittel auf rein biologischer Grundlage zu bebauen – ein Erfolgsmodell ohnegleichen, wie nach drei Jahrzehnten unwiderruflich feststeht.


Landhaus Casa Conforto mit Vin Santo-Lager im Untergeschoß - Foto © Rainer K. Wick
 
Rudolf Steiner als geistiger Impulsgeber
 
Basis dieses Erfolgsmodells ist die von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie, propagierte sog. biologisch-dynamische (oder kurz biodynamische) Methode. Ein Jahr vor seinem Tod hielt er 1924 auf Einladung von Johanna Gräfin und Karl Graf von Keyserlingk und auf Bitten anderer Landwirte und Gutsbesitzer in der Nähe von Breslau einen „Landwirtschaftlichen Kursus“ ab, dessen Ziel es war, die „geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ zu legen. Man muß kein esoterischer Schwärmer sein oder Steiner gar als Säulenheiligen einer neuen Heilslehre verehren, um seine Kerngedanken unmittelbar nachvollziehen zu können und für überaus vernünftig zu halten. Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß sich – bei erhöhten Erträgen – die Qualität der Lebensmittel infolge der mineralischen Stickstoffdüngung und des Einsatzes sonstiger chemischer Substanzen stetig verschlechtert hatte und ferner die Erkenntnis, daß die Böden auf längere Sicht ihre Fruchtbarkeit verlieren würden. In Opposition zur Rezeptkultur einer chemischen Landwirtschaft forderte Steiner einen naturgemäßen Landbau, übrigens im Einklang mit den Kräften des Kosmos.

So spielt nach seiner Überzeugung der Mondkalender für den Zeitpunkt des Säens oder Düngens

Die alte Getreidemühle - Foto © Rainer K. Wick
eine maßgebliche Rolle, und zur Düngung empfiehlt er unter anderem die Verwendung von Hornmist. Dabei handelt es sich um frischen Kuhmist, der in ein Ochsenhorn gefüllt und eine Zeitlang in der Erde vergraben wird. Anschließend wird der Inhalt des Ochsenhorns in Wasser verrührt und auf der Anbaufläche versprüht. Auf La Vialla wird diese Substanz als „Präparat 500“ eingesetzt: 400 g Hornmist werden in 250 l Wasser gewissermaßen homöopathisch verdünnt und reichen zur Düngung von 4 Hektar Land. Entscheidend für den Erhalt der Fruchtbarkeit der Böden ist nach Steiner auch die Kompostierung. Die Fattoria verfügt über einen ca. 70 bis 80 Meter langen Komposthaufen, in dem organisches Material unter dem Einfluß von Bakterien und Mikroorganismen innerhalb eines Jahres in hochwertigen Humus verwandelt wird. Kompostiert werden z.B. der Dung der 500 Valdarno-Hühner sowie der 1400 Vialla-Schafe, die den schmackhaften Pecorino liefern, die bei der Traubenkelterung oder beim Ölmahlgang entstehende Maische, die bei der Pomodoro-Ernte ausgesonderten Tomaten und andere Gemüseabfälle.
Den Empfehlungen Steiners folgend, wird der Komposthaufen mit flüssigen Substanzen aus Schafgarbe, Kamille, Brennessel, Eichenrinde, Löwenzahn und Baldrian „geimpft“, um den Prozeß der Kompostierung zu befördern. Zur Anreicherung der Böden erfolgt im Herbst die Aussaat der Gründüngersorten – Taubenbohne, Senf, Gräser u.a. Im Frühjahr werden die inzwischen gewachsenen Pflanzen, die das Erdreich kräftigen und mit Stickstoff, Kalium und Phosphor versorgen, untergepflügt. Selbstverständlich wird auf La Vialla nicht nur auf den Einsatz chemischer Düngemittel verzichtet, auch die Verwendung von Pestiziden (Herbiziden, Fungiziden, Insektiziden) als Pflanzenschutzmittel ist tabu. Längst hat die Umweltmedizin die gesundheitlichen Gefahren erkannt, die sich durch chemisch belastete Lebensmittel ergeben können. Mit geradezu missionarischem Eifer steuert die Fattoria La Vialla seit Jahrzehnten einen Gegenkurs, der dem Bedürfnis von immer mehr Menschen nach gesunder und natürlicher Ernährung entgegenkommt. Folgerichtig sind die Vialla-Produkte nicht nur Demeter-zertifiziert, sondern tragen auch das 2010 eingeführte Bio-Siegel der Europäischen Union.
 
Spagat zwischen Tradition und Innovation
 

Die Backstube der Fattoria - Foto © Rainer K. Wick

Sollte nun der Eindruck entstanden sein, die Orientierung an den Ideen Steiners sei nichts anderes als eine verklärende Huldigung an einen vergangenen Propheten, sieht man sich bei einer Besichtigung der Produktionsstätten von La Vialla rasch eines Besseren belehrt. Zwar wird das biodynamisch erzeugte Getreide in einer aus einem alten Kloster stammenden Mühle gemahlen, die Ölmühle, in der die Oliven kalt zu Olio extravergine gepreßt werden, hat schon manches Jahrzehnt ihren Dienst getan, und die Öfen, in denen die schmackhaften Cantucci und sog. Viallini gebacken werden, sind holzbefeuert. Daneben gibt es aber auch hochmoderne Edelstahlkessel, in denen der Wein erzeugt wird, bevor er in Holzfässern (oder versuchsweise auch in Tongefäßen) gelagert wird, eine High-Tech-Küche, in der die Saucen für diverse Pasta-Gerichte gekocht werden, oder eine nagelneue leistungsstarke Photovoltaikanlage, die die Fattoria umweltschonend mit Strom versorgt. Und die Familie Lo Franco – das sind die Eltern Giuliana und Piero und die Söhne Gianni, Antonio und Bandino, die Betriebswirtschaftslehre studiert haben – begnügt sich längst nicht mehr mit der

Lager mit Barriquefässern und Tonbehälter - Foto © Rainer K. Wick
Lektüre des „Landwirtschaftlichen Kursus“ von Rudolf Steiner, sondern arbeitet auf höchstem Niveau mit Spezialisten verschiedener Disziplinen zusammen, vor allem mit Agronomen, Önologen und Ingenieuren. Und mehr noch, die „Fondazione Famiglia Lo Franco“, eine 2010 ins Leben gerufene Stiftung, fördert die universitäre Forschung im Bereich des biologischen und biodynamischen Anbaus und engagiert sich für eine Reihe von Programmen zum Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen.

Das alles geschieht diskret im Hintergrund und bleibt dem Besucher der Fattoria eher verborgen.
Im Unterschied dazu präsentieren sich gut sichtbar in einem kleinen Hofladen die landwirtschaftlichen Produkte von La Vialla – Wein, Olivenöl, Antipasti, Teigwaren, Saucen, Käse, Honig, Marmelade, Backwaren und anderes. Zu moderaten Preisen zwischen 5 und 10 Euro werden qualitätvolle, biodynamisch erzeugte Weiß-, Rot- und Roséweine angeboten, außerdem Vino Spumante (Sekt) und Vin Santo, der köstliche Dessertwein. Verarbeitet werden vorzugsweise die Rebsorten Sangiovese, Cabernet Sauvignon, Trebbiano Toscano, Pinot Nero, Verdicchio und Vernaccia di San Gimignano. Daß die  Weine aus dem Hause Lo Franco bei internationalen Wettbewerben regelmäßig die höchsten Auszeichnungen – Gold-, Silber- und Bronzemedaillen – erhalten, sei nur am Rande bemerkt. Das schmackhafte Olivenöl ist in zwei Varianten verfügbar, einmal als das klassisch toskanische, etwas herbere Vialla-Öl, und einmal als das mildere „La Malva“ aus einem zu La Vialla gehörenden Olivenhain im süditalienischen Apulien in der Nähe des Monte Gargano.
Diese und die anderen Produkte von La Vialla werden nur vor Ort verkauft bzw. auf dem Postweg ausschließlich an Privatkunden versendet. Bestellen kann man per Post, per Fax oder online auf der Grundlage der schönen, eingangs erwähnten, toskanisches Flair und italienische Lebensfreude verströmenden Kataloge. Es gehört zur Unternehmensphilosophie der Fattoria, keine Händler, keine Supermärkte, keine Einkaufsketten zu beliefern, sodaß den Erzeugnissen aus Castiglion Fibocchi tendenziell der Hauch des Exklusiven anhaftet.


Blick von einem der Weinberge der Fattoria in die toskanische Ebene - Foto © Rainer K. Wick

Ein unvergeßliches Erlebnis ist es, mit ca. 50 anderen Gästen an einem der Mehrgängemenüs teilnehmen zu können, die regelmäßig an einem langen, im Freien aufgestellten Tisch stattfinden. Hier werden in der heiteren Atmosphäre der ländlichen Umgebung von Arezzo all jene Köstlichkeiten serviert, die das Landgut selbst hervorbringt. Wäre man nicht in Italien, gäbe es keine treffendere Redewendung als „leben wie Gott in Frankreich“ (das italienische Äquivalent lautet „fare una vita da papi“). Und wem es nicht nur um das leibliche Wohl zu tun ist, sondern wer auch noch die Seele baumeln lassen will, dem sei ein Urlaub in einem der exzellent restaurierten und rustikal eingerichteten Ferienapartments oder -häuser auf dem Gelände der Fattoria inmitten von Weinbergen oder Olivenhainen empfohlen – eine Einladung zum Glücklichsein, die man kaum ausschlagen kann.  
 
Fattoria La Vialla  -  Famiglia Lo Franco
Via di Meliciano 26  -  I-52029 Castiglion Fibocchi
Tel.: 0039-0575-477720  -  Fax: 0039-0575-477704
 
Die Kataloge – es gibt auch einen Katalog der Landhäuser und Ferienwohnungen – sind vor Ort nicht erhältlich, sondern werden ausschließlich per Post verschickt.