Der Baudelaire des Supermarkts

Falk Richter inszeniert in Düsseldorf Michel Houellebecqs "Karte und Gebiet"

von Andreas Rehnolt

Der Baudelaire des Supermarkts

Am Düsseldorfer Schauspielhaus
hatte Michel Houellebecqs Roman
"Karte und Gebiet"
in der Inzenierung von Falk Richter Premiere
 
 
Düsseldorf - Gut Vierhundert Seiten des Romans "Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq haben jetzt als zweieinhalbstündiges Theaterstück am Düsseldorfer Schauspielhaus ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebt. Viel Wort, ganz viel Videosequenzen, etwas Musik und leider nur wenig Schauspiel gab es für die Zuschauer im vollbesetzten Kleinen Haus. Falk Richter hatte sich das Prosawerk vorgenommen und ließ vor allem die Hauptfigur des Romans, den Künstler Jed Martin (Christoph Luser) vor allem aufsagen.
 
Die von Houellebecq als Künstlerbiographie, Satire über den von Finanzinteressen abhängigen Kunstbetrieb und als Zivilisationskritik geschriebene Handlung um den jungen, ziemlich lebens- und wirklichkeitsfremd agierenden Jed gerät auf der Bühne von Katrin Hoffmann allzusehr zu einer Technik-Schau. Da zerfetzt der Maler sein per Video auf eine Tischplatte projiziertes Bild "Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf". Er fotografiert Michelin-Karten. die im Hintergrund der Bühne ein Eigenleben entwickeln. Playmobil-Figürchen und kleine Spielzeugautos flitzen über eine Leinwand und sollen vermitteln, daß Jed nun in einer anderen künstlerischen Phase angekommen ist. Statt Globalisierung entdeckt er die kartografierte Nah-Welt für sich neu und hat damit auch kommerziell Erfolge. Wie der Zufall so spielt, lernt er die Russin Olga (Karin Pfammatter) kennen, die eben bei Michelin für die PR zuständig ist und für die Jed zumindest eine Zeit lang so etwas wie Liebe empfindet. 
Jeds Vater, ein ehemaliger Architekt, taucht irgendwann als schwerkranker Altenheim-Bewohner auf und erzählt ihm bei einem Weihnachts-Besäufnis seine Liebe und Verzweiflung über seinen Beruf wie über sein ganzes Leben. "Bei der Geburt des Sohnes verzichtet der Mann auf alle künstlerischen Ambitionen und findet sich zugleich auch mit dem eigenen Tod ab", ist einer der wohl intensivsten Sätze des von Werner Rehn extrem am Leben leidend gespielten Jean-Pierre Martin, der sich im weiteren Verlauf des Stücks von schweizerischen Sterbehelfern ins Jenseits transportieren läßt.
 
In der Schicki-Micki-Stadt Düsseldorf hätten die Seitenhiebe auf den Kulturbetrieb, auf Gefälligkeits-Aufträge, Sponsoren-Macht und Scheckheft-Kunst durchaus kräftiger und pointierter sein können. Jeds Galerist, gespielt von Moritz Führmann bleibt zu wenig drastisch und zu gefällig in seinem Gehabe. Auch Jed's Selbstzweifel an seinem malerischen Können, am Mensch- und Mannsein bleiben bei Luser leider nur angedeutet und zu wenig spürbar. Erst als Houellebecq - von Olaf Johannessen grandios dargestellt - auf der Bühne erscheint, kommt wirklich Schauspiel ins Theater.
Kettenrauchend, flaschenweise Wein in sich kippend und im abgerissenen Parka wirkt dieser Houellebecq, als wäre er aus seinem eigenen Roman auf die Bühne getorkelt. Klein, schmächtig, an sich und der Welt leidend und an beidem zugleich überdrüssig ist diese Figur der absolute Höhepunkt der Inszenierung. Als "Baudelaire des Supermarkts" trauert er in seinem "Leben als Verbraucher" dem Sterben industriell gefertigter Güter, vor allem seinem Parka nach, der nicht mehr hergestellt wird. "Ich kann alles sagen, ich bin in Mode", betont der Autor, der unter extremer Finanznot leidet und deshalb gerne gegen reichlich Bares ein Vorwort zum neuen Ausstellungskatalog von Jed schreibt.
Der kann ihn zudem dazu überreden, ihm für eine Fotostudie Modell zu stehen, die dann auch weltweit erneut für Positiv-Schlagzeigen über den Maler wird. Das Bild schenkt er dem Autor. Millionäre, Wirtschaftsführer und Politiker wollen sich von Jed ähnlich öffentlichkeits-wirksam inszenieren lassen. Doch der Maler winkt ab. Er hat genug, glaubt, daß er nun keine weitere Entwicklung in seiner Kunst als Maler erreichen kann und zieht sich in ganz in Einsamkeit und in sich selbst zurück.
 
Hier hätte Schluß sein können in Düsseldorf. Doch es geht weiter. Der Abend schlägt um in einen bestialischen Mord an Houellebecq. Eine vertrottelte Polizistengruppe samt Flic, pfeiferauchendem Kommissar und einem Gerichtsmediziner ermittelt und kommt nach diversen Slapstick-Einlagen einem Schönheitschirurgen auf die Spur, der den Autor mit Laser-Strahlen zerstückelt hat, um in den Besitz des millionenschweren Gemäldes von Houellebecq zu kommen.
 
Der Applaus am Premierenabend war nicht gewaltig, eher freundlich und erwartungsvoll, was die nächsten Inszenierungen unter dem neuen Hausherrn Staffan Valdemar Holm im traditionsreichen Haus am Gustav-Gründgens-Platz in Düsseldorf bringen werden. Holm selbst inszeniert in wenigen Wochen den "Hamlet", der ursprünglich als Eröffnungspremiere im Großen Haus geplant war, wegen der Verzögerungen beim Umbau des Theaters allerdings nicht zum Einsatz kommen konnte.
 
Nächste Aufführungen: 27. Oktober, 5., 6., 7. November
 Weitere Informationen: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de