Viele suchen ihr Glück, wie sie einen Hut suchen,
den sie auf dem Kopf tragen. (Nikolaus Lenau) Sonett
Wer wußte je das Leben recht zu fassen, Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?
Ja, der sogar, der ruhig und gelassen, Mit dem Bewußtsein, was er soll, geboren,
Frühzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muß vor des Lebens Widerspruch erblassen.
Denn jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache, Allein das Glück, wenn´s wirklich kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.
Auch kommt es nie, wir wünschen bloß und wagen: Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache,
Und auch der Läufer wird es nicht erjagen.
August Graf von Platen Glücksucher, Glücksritter, das Leben, Länder und Kontinente durcheilend auf der Jagd nach dem einzig Erstrebenswerten, dem Glück, so sehen viele Denker und Dichter die Menschen - und haben in vielen Fällen Recht. Die Zahl der Kompendien zur Frage was denn das Glück sei und wie es zu erringen sein könnte, ist Legion. Da kann es nicht schaden, wenn man ein weiteres hinzufügt, das sehr kompakt, zeit- und spartenübergreifend ein Exzerpt der literarisch-philosophischen Bemühungen zur Beantwortung der Frage präsentiert.
Gefragt wurden sie nicht eigens, jedoch zitiert werden Männer und Frauen, die es - zumindest im Leben - zu etwas gebracht haben, darunter u.v.a.: Doris Dörrie, Bernhard Schlink, Urs Widmer, Joey Goebel, die Brüder Grimm (na klar: Hans im Glück), Ludwig Marcuse, Epikur, Heinrich Heine, Robert Walser, Kurt Tucholsky, Gottfried Keller, Wilhelm Busch und ganz zum Schluß Peter Altenberg. Das der kein Glück gehabt hat, ebenso wie Robert Walser und Kurt Tucholsky, wissen wir - bei den anderen bleibt die Frage offen. Platens Sonett übrigens ist nicht in die glänzende Auswahl aufgenommen worden - kann ja nicht alles drin sein. In die zum Teil illustrierte Prosa eingebettet findet sich ein um zwei Punkt kleiner gesetzter, dadurch enorm umfangreicher Block von zehn Seiten gesammelter Aphorismen zum Thema, mit Beiträgen von A wie Alain bis W wie Oscar Wilde. Unser einleitendes Lenau-Zitat ist nicht dabei. Sie dürfen es handschriftlich nachtragen. Und wer anders als französische Cartoonisten wäre in der Lage, das anwesende oder eben nicht anwesende Glück auf wenige Striche zu reduzieren. Im vorliegenden Band tun das Chaval, Bosc (gewohnt bitter) und in großer Zahl der immer liebenswerte Jean-Jacques Sempé. Ach ja, ein Österreicher von gleichem Rang ist ebenfalls mit der Zeichenfeder vertreten: Paul Flora, der Urs Widmers "Das Ende Richards des Dritten" illustriert hat. Den Schluß des empfehlenswerten Bandes macht Peter Altenberg mit diesem Text: Das Glück Ich erwartete das Glück vergblich Jahre und Jahre lang. Endlich kam es und setzte sich zutraulich an mein Bett. Es hatte gelbbraunen Teint wie die Javanerinnen, schmale, lange Hände und Finger, Gazellenbeine und bewegliche lange Zehen. Ich sagte: "Oh, bist du wirklich, wirklich endlich das Glück, das lang ersehnte, tief begehrte?!?" - "Ich werde es dir morgen schreiben, ob ich es wirklich bin oder nicht. Du wirst selbst urteilen .." Am nächsten Morgen fand ich einen Zettel, auf dem geschrieben stand: "Adieu, auf Nimmerwiedersehen -." Ja, es war also wirklich und wahrhaftig >das Glück< gewesen! Peter Altenberg |
Tintenfass Nr. 35
Macht Glück glücklich?
Fragen (und Antworten) über das Glück - von Epikur bis Marcuse © 2011 Diogenes Verlag - detebe 22035 397 Seiten, Broschur, mit Cartoons von Bosc, Chaval und Jean-Jacques Sempé 10,- € Weitere Informationen unter: www.diogenes.ch |