Das doppelte Gottchen

Kleists "Amphitryon" im WTT Remscheid

von Frank Becker

Amphitryon, Prolog - Francois Boucher pinx.
Das doppelte Gottchen
 
Das Westdeutsche Tournee Theater
feiert das Kleist-Jahr mit
dem klassischen Lustspiel
„Amphitryon“
 
„Es war kein Sterblicher, der dir erschienen,
Zeus selbst, der Donnergott, hat dich besucht.“
(Jupiter, 2. Akt, 5. Szene)
 

Remscheid. Heinrich von Kleists Lustspiel „Amphitryon“ von 1807 (uraufgeführt erst 1899) um einen göttlichen Übergriff auf die Menschen steht der Vorlage Molières von 1668 in Deftigkeit nicht nach, wenn beide auch den Gehalt der von Jupiter/Zeus inszenierten Verwechslung unterschiedlich gewichten. Wo Molière den vom Göttervater zum Hahnrei gemachten thebanischen Feldherrn Amphitryon um seine gekränkte Mannesehre ringen läßt, behandelt Kleist den Stoff im Schillerschen Sinne des „Theaters als moralische Anstalt“.
 
Bei Kleist geht es also um die Moral, bzw. die bei Jupiter (gradlinig selbstgerecht: Dominik Breuer) eben nicht vorhandene Moral, welche er immer wieder durch erotische Ausflüge zu den Irdischen unter Beweis stellt. Er, der seine göttliche Macht aus purer Sinnenlust mißbraucht hat, um Europa, Io, Leto, Kallisto, Leda zu verführen, sie durch die vermeintliche Ehre seines Beiwohnens in fremder Gestalt jedoch entehrt und schwängert, hält es für einen herrlichen Schabernack, auch Alkmene (edel: Kristina Otten), Amphitryons (vielschichtig: Thomas Ritzinger) treue Gemahlin in dessen Gestalt zum Objekt seiner Lust zu machen. Daß er dabei zugleich die Ehre und das Selbstvertrauen seiner irdischen Opfer beschädigt, ist weit mehr als ein Spaß, geht es doch den Menschen ans Innerste, die Seele, das Vertrauen zueinander und zu sich selbst. Die Frage nach dem Ich und dem eigenen Wert rückt in den Vordergrund.
Daß Götterbote Merkur (dreist: Björn Lenz) im Kielwasser des Donnerers sein eigenes schändliches Süppchen kocht, indem er auf Dienstbotenebene Charis (deftig, mit Mut zum Trampel: Verena Sander), die Gattin von Amphitryons Diener Sosias (ein Komödiant wie aus dem Bilderbuch: Björn Lukas) besucht und den Gehörnten auch noch übel mißhandelt, wirft auch auf die zweite Götterfigur der Geschichte ein denkbar schlechtes Licht.
 
Claudia Sowa hat für ihre Inszenierung in einfacher, wirkungsvoller Ausstattung (Peter Strieder), mit Kostümen, die das klassisch Griechische und das Heute transportieren (Lolita Erlenmaier), den Text beherzt beschnitten und die kritischen Tendenzen Kleists unterstrichen – nicht jedoch auf die drastische Komik zu verzichtet, die gerade noch so verhindert, daß das Stück zur Tragödie wird. Auf diesem schmalen Grat nämlich balanciert „Amphitryon“. Eindeutig liegen die Sympathien bei den Geprellten, zumal Kleist die Ungerechtigkeit der göttlichen Willkür plakatiert hat. Da nützt auch Jupiters Selbstmitleid („Er will geliebt sein, nicht ihr Wahn von ihm.“) wenig. Den Prolog Molières, in dem die Göttin der Nacht Luna (berückend: Verena Sander) von Merkur ins Komplott gezogen wird (Kleist hat auf ihn verzichtet), hat man bei der Remscheider Inszenierung wieder hinzugefügt. Zum wahrhaft sprachlich-artistischen komödiantischen Kabinettstück wurde das Streitgespräch der wahren Amphitryon/Sosias um das Rätsel des Doppel-Ich in der 1. Szene des 2. Aktes, wie Kleists Sprache überhaupt die Begegnung mit dem 21, Jahrhundert schadlos übersteht.
 
Wie aber raus aus dem Dilemma? Zum Zerreißen spannend bis zum offenen Ende reizen Jupiter - und Claudia Sowa - die Dramatik der vertrackten Situation aus. Zurück bleiben zwischen stürzenden Säulen vier Seelen in fürchterlicher Verwirrung - und ein blendend unterhaltenes Publikum. Kleist heute: paßt!
 
Nächste Termine: 15.9., 20 Uhr, im WTT (12/7 Euro). Karten: 02191-32285. Am 23.9., 19.30 Uhr, im Teo Otto Theater. Karten (ab 19 €, Jugendticket 5 €): 02191-162650
 
Weitere Informationen unter: www.wtt-remscheid.de 
und  www.teo-otto-theater.de