...denn sie wissen nicht, was sie tun

Das Wuppertaler TiC zeigt "Romeo und Julia"

von Frank Becker

Bildunterschrift
Generation Jägermeister

Der Gegensatz könnte kaum schärfere Akzente setzen: Shakespeares Drama "Romeo und Julia" von 1597 um eine unmögliche Liebe, in der deutschen Übersetzung von Friedrich Schlegel (1810) - in Szene gesetzt in archaisierender Kulisse (Iljas Enkaschew) und Kostümen von heute, 2011
(Kerstin Faber). Regisseur Ralf Budde macht einen Spagat ähnlich dem der 1996er Verfilmung von Baz Luhrmann, geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem er die zentralen Figuren Romeo (Robert Flanze), Mercutio (Lukas Vaupel), Benvolio (Benedict Schäffer), Tybalt (Björn Tappert) und vor allem Julia (Lara Sienczak) als das vorstellt, was sie bei Shakespeare sind: Halbwüchsige, ja halbstarke, mit Muskeln und Messern spielende Raufbolde und pubertierende Romantiker die Burschen, geradezu kindlich die schwärmende Julia von nicht ganz 14 Jahren - allesamt von rührender Unreife. Das vermittelt gegenüber anderen Inszenierungen, in denen diese Figuren meist viel zu alt besetzt werden, ein reales Bild der Verhältnisse. Die jungen Darsteller im Wuppertaler "Theater in Cronenberg (TiC)" sind gerade mal um die 17 Jahre alt und voller jugendlich aufschäumendem Temperament, das sie nicht einmal spielen müssen. Die gesellschaftlichen Umgangsformen hat Budde ebenfalls dem Heute angepaßt, wozu auch die Flasche "Jägermeister" in der Hand der Jugendlichen und die dezent an die Party- Gäste verteilten Briefchen Koks gehörten. Das ergibt im Gesamtkontext Sinn und beißt sich nicht mit Schlegels vorgestriger Sprache.

...denn sie wissen nicht, was sie tun


Nicht nur einmal fühlt man sich im Ablauf der gestrafften, unnötige Längen vermeidenden Inszenierung an filmische Vorlagen erinnert. Das ist bei den Großsprechereien, Raufereien und Messerstechereien so, die Robert Wise und Jerome Robbins 1961 für ihren Film "West Side Story" mitreißend choreographiert haben und die Nicholas Ray 1955 als eine Schlüsselszene seines Films "Rebel without a cause" (...denn sie wissen nicht was sie tun) mit James Dean  und Corey Allen
in Szene gesetzt hat. Das fällt ganz besonders in der Party-Szene beim Kennenlernen Romeos und Julias auf, bei der die Gesellschaft um sie herum in diffuse Zeitlupe sinkt, während die beiden völlig isoliert sich und ihre Liebe erkennen. Das deckt sich unübersehbar mit dem Zusammentreffen von Tony und Maria beim "Dance at the Gym" in "West Side Story".
Das
als Liebesthema sanft das musikalisch durchgängig fordernde markante Hauptthema konterkarierende "Epilogue" von Late Night Alumni läßt die ganze Zartheit dieser Kinderliebe hörbar werden. Hier hätte glatt auch Paul Ankas "Puppy Love" gepaßt. Durchgängig läßt Budde spüren, daß hier junge Menschen beinahe hilflos dem ungeheuren Sturm tiefer Gefühle gegenüberstehen, geschüttelt zwischen Tradition und Aufbegehren - ein ewiges Thema.

...a faint cold fear thrills through my veins

Nun wissen wir ja hinlänglich: das kann nicht gut ausgehen, wenn sich die Kinder zweier verfeindeter

Der Tod Romeos und Julias - Wilhelm von Kaulbach pinx.
Familien im Verona des 16. Jahrhunderts gegen den Wunsch der Eltern und der Clans ineinander verlieben. Und so fallen auch hier einige der jungen Heißsporne, unsere beiden tragischen Liebenden eingeschlossen - und ein wohlmeinender älterer Freier (Carsten Müller als Graf Paris) dem Dünkel und dem Unverständnis zum Opfer. Das hat Ralf Budde mit seinen unerhört engagierten Darstellern in der Hitze des Sommers von Verona (und des Theatersaales) emotional auf die kleine Bühne gebracht. Neben den nicht genug zu lobenden oben bereits namentlich genannten jungen Schauspielern machte besonders Robert Cramer charaktervoll als Graf Capulet eine hervorragende Figur. Carsten Müller überzeugte als etwas unbeholfener Graf Paris, und Martina Anhang erschlug als nervtötende Amme mit fast nicht versiegendem Redefluß ganz köstlich ihre Mitspieler und das Publikum. Die doch im Konflikt des klerikalen Gewissens eigentlich tragische Figur des Bruder Lorenzo geriet Hans-Willi Lukas insgesamt etwas zu burlesk. Erwähnenswert Kerstin Fabers überwältigend detailverliebte und stimmige Garderobe und Iljas Enkaschews begehbares Bühnenbild, das sogar die Balkonszene auf kleinstem Raum möglich machte. Diese Auffassung Shakespeares läßt man sich gefallen.

Weitere Informationen unter: www.tic-theater.de