Warum Sisley?

Eine Einführung in die große Wuppertaler Sisley-Ausstellung

von Dr. Gerhard Finckh

Dr. Gerhard Finckh - Foto © Frank Becker
Warum Sisley?
 Von Dr. Gerhard Finckh

Die Vorbereitungen für unsere Ausstellung zum Werk von Alfred Sisley erstreckten sich über den Zeitraum von annähernd zwei Jahren. Museumskollegen, private Sammler, Kunstkritiker, die von dem Projekt erfuhren, fragten in dieser Zeit immer wieder erstaunt: "Warum Sisley?“

Ausgehend von dem impressionistischen Bilderschatz, den August und Eduard von der Heydt am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Wuppertal-Elberfelder Sammlung zusammentrugen, hat das Von der Heydt-Museum 2006 begonnen, die französische Malerei des 19. Jahrhunderts näher zu betrachten. Die erste Ausstellung einer auf längere Sicht angelegten Serie befaßte sich 2006 mit der "Schule von Barbizon“, in welcher die malerischen und theoretischen Grundlagen für den nachfolgenden Impressionismus gelegt wurden. Darauf folgten 2008 „Auguste Renoir und die Landschaft des Impressionismus“ und 2009/10 „Claude Monet“. Nach Barbizon, Renoir, Monet und dem Nachimpressionisten Pierre Bonnard (2010/11) reiht sich Alfred Sisley mehr als logisch in die Serie der Ausstellungsvorhaben des Wuppertaler Museums. Und es ist - wieder - eine Premiere; denn das Von der Heydt-Museum präsentiert das Œuvre Sisleys zum ersten Mal in Deutschland von seinen Anfängen im Wald von Barbizon 1865 bis zu seinen letzten Gemälden, die 1897 an den Küsten von Cornwall und Wales entstanden.



Alfred Sisley - Der Maler Monet im Wald von Fontainebleau, ca. 1865 - Foto © Frank Becker

Mit ca. 80 Gemälden aus allen Schaffensperioden will die Ausstellung das Œuvre Sisleys nicht nur breit auffächern, sondern auch in seinen unterschiedlichen Qualitäten ausloten.
Kleine Werke wie die Radierung „Bords du Loing“ von 1890, die nur 14,6 x 22,5 cm misst, sind ebenso in der Ausstellung zu sehen wie das für Sisley fast schon monumentale Format 73 X 92 cm des Bildes „Bords du Loing pres de Moret“ von 1892. Verschiedene Essays der führenden internationalen Experten stellen im Katalog zur Ausstellung die Bilder Sisleys auf den Prüfstand einer historisch·kritischen Betrachtung. Warum Sisley? Sisley hat dem Impressionismus eine besondere Note gegeben, er hat in diesem Stil eine musikalisch-lyrische Beschwingtheit zum Ausdruck gebracht, die sonst kaum zu finden ist - und das trotz aller persönlichen Nöte und Beschwernisse.

Alfred Sisley wurde 1839 in eine wohlhabende englische Familie geboren, die in Paris lebte und hier ihren Geschäften nachging. Das elterliche Geschäft interessierte Alfred Sisley jedoch nicht, ihn faszinierte die „moderne“ Malerei eines William Turner, John Constable und das, was heute unter der Marke „Schule von Barbizon“ bekannt ist. Bis 1870/71 der preußisch-französische Krieg das

Sisley - Sitzendes Mädchen und Junge, o.J. - Foto © Frank Becker
väterliche Geschäft ruinierte, konnte Sisley seine eigene Malerei als Steckenpferd betreiben, wobei er durchaus schon damals äußerst ambitioniert war und mit seiner dreimaligen Teilnahme am "Salon“ erste größere Erfolge verzeichnete. Der Bankrott des väterlichen Geschäfts ruinierte in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht auch Alfred Sisleys Leben. Von einem Tag auf den anderen war Sisley, der bis dahin gelegentlich auch seine aus armen Verhältnissen stammenden Freunde Monet und Renoir alimentieren konnte, selbst der Armut preisgegeben. Aus der Geborgenheit des Wohlhabenden kommend, stellte Sisley, nach 1871 plötzlich ohne Einkommen -, seine ganze Arbeit - und damit sein Leben und das seiner Familie, das in trostloser Armut enden sollte, in den Dienst der Kunst. Er brachte das Opfer der gesellschaftlichen Mißachtung, er demütigte sich soweit, alle ihm nur irgendwie Nahestehenden immer wieder verzweifelt um Darlehen zu bitten und trotzdem seine Frau und die Kinder in größter Not zu wissen. Was muß das für ein Feuer gewesen sein, das in diesem als so „zurückhaltend, schüchtern, ruhig und bescheiden“ beschriebenen Künstler loderte, das ihn für die Kunst der Malerei brennen ließ, trotz aller Rückschläge - und sein Leben scheint von 1871 an fast nur noch aus Mißerfolgen und Durchhaltewillen bestanden zu haben - und ihn nie daran zweifeln ließ, daß zu malen die einzige für ihn in Frage kommende Profession sein könnte?

In Sisleys Werk ist etwas zu entdecken, das bislang nicht in ausreichender Weise gewürdigt wurde: Bewegung und Leben. Manche der Betrachter seiner Bilder, manche Künstlerkollegen und Kritiker entdeckten diese Bewegung in Sisleys Bildern, ohne ihr jedoch als einem ganz wesentlich neuen Bildelement gerecht zu werden. So äußerte der Kritiker Chesneau im Paris-Iournal 1872: „Mir ist bisher kein Bild bekannt, das auf so vollkommene Art die physische Präsenz der Atmosphäre

Alfred Sisley - Der Loing in Saint-Mammés, 1885 - Foto © Frank Becker
wiedergibt,“ und der symbolistische Dichter Stéphane Mallarmé schrieb 1876 über Sisley: "Er hält die flüchtigen Momente des Tages fest, er beobachtet eine Wolke und malt, wie sie vorüberfliegt. Auf seiner Leinwand spürt man den Lufthauch noch, und die Blätter bewegen sich leicht im Wind.“ Diese zarte Bewegung und die Poesie, mit der es ihm gelang, „einen Weg nach dem Regen, hohe Bäume, von denen das Regenwasser herabtropft, nasse Pflastersteine, Pfützen, in denen sich der Himmel spiegelt“, hinreißend darzustellen, das sind Bildelemente, die in Kritiken zu den Bildern Monets und Renoirs nicht vorkommen. Die Zeitgenossen haben diese besondere Qualität in Sisleys Werk gelegentlich wohl wahrgenommen, aber nicht als seinen maßgeblichen Anteil, als seine prägende Erfindung für die Malerei des Impressionismus gewürdigt. Während Monet mit seinem berühmten Diktum „La nature ne s”arréte pas“ (Die Natur steht nie still) und später Bonnard mit dem Satz „L´art c’est le temps arrété“ (Malerei, das ist angehaltene Zeit) ein griffiges Wort für das Problem der Bewegung im Bild fanden und in zahlreichen Interviews verbreiteten, galt Sisley eher als wortkarg, was die Theorie seiner Kunst betraf.
Er äußerte sich erst spät, zu spät, um damit seinem Werk noch den Stempel des Besonderen aufdrücken zu können, zu „seinem‘“ Thema, der Bewegung im Bild. Er vertraute A. Alexandre an, er „singe ohne Unterlaß, er trällere während der Arbeit diese so fröhliche, so leicht singbare, hinreißende Melodie, die Teil seiner selbst geworden“ sei, das Scherzo aus Beethovens Septett, d.h. Sisley war darin den Künstlern des 20. Jahrhunderts nicht so fern, die bei der Arbeit im Atelier häufig Musik hören, um eine besondere Atmosphäre um sich zu erzeugen, in der ihre Kreativität wirksam werden soll. Musik, ein Scherzo, bedeutet aber auch Dynamik, Rhythmus, Bewegung, die sich auf den Arbeitsprozeß übertragen lassen. René Huyghe schloß daraus sogar, Sisley habe zwar keine neuen Motive in die Malerei eingeführt, wohl aber die bekannten Formen in neue, musikalische Zusammenhänge eingebettet.

In einem der seltenen Interviews, die Sisley gab, erklärte er: „Abgesehen vom Bildgegenstand, vom Motiv, ist das Interessanteste an einer Landschaft die Bewegung, das Leben. Das ist auch besonders schwer zu erreichen. Die Illusion von Leben zu erzeugen, ist für mich das Wichtigste in einem Kunstwerk, und alles muß dazu beitragen: Die Form, die Farbe, der Pinselstrich.“ Während Monet und Renoir seit den 1880er Jahren mit ihren auffallenden, oft kühn komponierten Werken allmählich positive Aufmerksamkeit erzielten und mit größeren, stattlichen Bildformaten für Aufsehen sorgten, blieb Sisley stets dem kleinen, oft beinahe intimen Format treu. Und während Renoir mit seinen rotwangigen und blauäugigen Frauen- und Madchenporträts und seinen, in ihrer bukolischen

Alfred Sisley - Die Seine bei Billancourt, 1879 - Foto © Frank Becker
Nacktheit mit dem Betrachter Hirtenden, ,,Badenden“ eine Art ,,Markenzeichen“ für sich entwickelte und Monet, darin alle überflügelnd, mit seiner Serie der Kathedrale von Rouen und dann mit den großen Seerosenbildern berühmt wurde, blieb Sisley bei der beschwingten Gestaltung von Landschaften im kleinen und mittleren Format. Monet und Renoir waren ein bzw. zwei Jahre jünger als Sisley, aber sie überlebten ihn bei weitem (Renoir starb 1919, Monet 1926), und diese Jahre nach Sisleys frühem Tod 1899 waren es, in welchen Monet und Renoir die Gefilde des „klassischen“ Impressionismus verließen, um in neue Dimensionen vorzustoßen und in welchen sich Renoirs und Monets Weltruhm entfaltete. Monet und Renoir hatten in den 1890er Jahren ihren Platz, ihren Stil, ihre „Markenzeichen“, ihre Attitüde gefunden, Sisley war 1897 bei seinem letzten Besuch an der walisischen Küste, als er „Storr”s Rock“ malte, vielleicht drauf und dran, für sich eine neue, von der rauhen Natur inspirierte, „wildere“, auch modernere Malerei zu entdecken, die ihn vielleicht aus der atmosphärischen, lyrischen Klein- und Feinmalerei herausgeführt haben würde - aber hier beginnt die Spekulation.

Sisley blieb zeitlebens der Lyriker unter den Impressionisten, derjenige, der die Idee der Naturbeobachtung und der getreuen Wiedergabe der Erscheinungen der Landschaft am wahrsten und reinsten in seinem Œuvre zum Ausdruck brachte und bewahrte. Er tat dies auf seine eigene, stille, am Schluß wohl auch resignierte Weise. Dennoch, auch wenn ihm der öffentliche Erfolg weitgehend versagt blieb, gilt nach wie vor, was der etwas ältere Camille Pissarro 1899 an seinen Sohn Lucien über Sisley schrieb: ,,Er ist ein guter und großer Künstler. Ich bin der Meinung, daß er gleichberechtigt neben den allergrößten steht."



Alfred Sisley - Storr´s Rock, Lady´s Cove am Abend, 1897 - Foto © Frank Becker
 
Alle Informationen über die Wuppertaler Sisley-Ausstellung, die morgen eröffnet wird, unter:
 www.sisley-ausstellung.de/ 
Lesen Sie zur Einführung auch die übrigen Sisley-Artikel der Musenblätter und:
Carola Lepping - "Huldigung an Sisley - Bildergeschichten vom Glück"

Redaktion: Frank Becker