Die Straße des Exzesses führt zu den Tempeln der Weisheit.

Eugen Egner wird heute 60 Jahre alt - "Schnölb"

von Frank Becker
Eugen Egner 60
 
Die Straße des Exzesses führt zu den Tempeln der Weisheit.
William Blake
 
 
Nicht nur das deutsche Micky Maus-Heft wird heuer 60 Jahre alt. Dem 1951 in Ingelfingen geborenen und nahezu seit Menschengedenken in Wuppertal lebenden und wirkenden vielseitigen phantastischen Autor, einzigartigen Zeichner, begabt dilettierenden Musiker und erklärten Misanthropen Eugen Egner widerfährt in diesen Tagen  – genau genommen ist es heute, am 10. Oktober – dieses von ihm als höchst widrig empfundene Schicksal. Bekanntermaßen zieht er sich schon seit Jahrzehnten nur noch im Dunkeln aus, doch gelingen ihm bei Licht immer wieder erstaunliche literarische Delikatessen. Zum allgemeinen Glück, muß man ihm entgegen haltend konstatieren, denn hätte er nicht jenes nahezu biblische Alter erreicht, wäre sein jüngstes und überaus unterhaltsames Buch mit dem Titel „Schnölb“ nicht erschienen. Das wäre wirklich schade gewesen, ermöglicht es doch einer breiten Öffentlichkeit zu erschwinglichem Preis den dringend notwendigen Zugang zu erbaulicher Lektüre.
 
 Richard
 
Richard geht arglos durch eine liebliche Gegend. Ganz unerwartet schlägt eine Schreibmaschine nahe bei ihm in den Boden ein. Gleich darauf noch eine und noch eine. Die Farbbänder sind noch gut, und Richard steckt sie in die Gesäßtasche.
 
Was bekommen wir also: 184 Seiten kurzer und kürzester Prosa sowie Romanauszüge, reichhaltig von Egners Hand illustriert, vieles davon verstreut erschienen und anders längst nicht mehr erreichbar, etliches niegelnagelneu und das Ganze gelegentlich durch prominente Elogen von u.a. von Gerhard Henschel (gleich zweimal!), Harry Rowohlt und F.W. Bernstein auf den bejahrten Künstler unterbrochen. Letzterer trägt historisch-kritisch interessant Korrespondenz-Zitate Bernstein/Egner bei. Sogar die ehrwürdige „Times“ hat einmal über Egners segensreiches Wirken berichtet – wir finden den kurzen Text ebenfalls in dieser hübschen Anthologie. Max Goldt, auf dem Rückendeckel propagiert, fehlt.
Beklagenswert ist die dem Verlag zur Last zu legende mangelhafte Wiedergabe-Qualität der Illustrationen, kennt man doch Egner als zeichnerischen Perfektionisten. Hingegen sind der farbige Deckel und die Egnerschen Vorsatzblätter gelungen.
 
Lesen Sie mit freundlicher Erlaubnis des Verlages hier eine weitere der bisher unveröffentlichten Miniaturen:
 
Eine bessere Welt
 
Walburgas Streben nach Harmonie war grenzenlos. Bei geöffneten Fenstern hatte sie quer durch ihre Wohnung Gummibänder gespannt, die nun von der Zugluft sanft berührt und zum Klingen gebracht wurden. Diesen unterschiedlichen, aber durchweg milden Klängen lauschte Walburga andachtsvoll, lag dabei nicht selten stundenlang auf ihrem teuren Schurwollteppichboden. Es kam die Zeit, da hätte sie gern Gummibänder von ihrem Balkon zu dem des gegenüberliegenden Hauses gespannt, aber das sollte für immer ein Wunschtraum bleiben.
 
Eugen Egner – „Schnölb!“ – Das kleine, aber feine Eugen-Egner-Lesebuch
© 2011 Eichborn Verlag, 184 Seiten, gebunden, mit Nach- und Hinweisen
19,95 € - ISBN 978-3-8218-3687-4


Foto © Frank Becker
 
Vieles von und über Eugen Egner im Internet unter www.musenblaetter.de