Die letzte Freiheit
Das Koblenzer Museum Ludwig zeigt eine umfassende Ausstellung zur Land Art Die Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren ein Jahrzehnt radikalster künstlerischer Grenzüberschreitungen und -erweiterungen. Mit Pop Art und Nouveau Réalisme, Happening, Fluxus und Performance, Environmental Art, arte povera, Minimal und Concept Art fand eine ungeahnte Expansion der Künste statt. Am Ende jener Dekade tiefgreifender kultureller und sozialer Veränderungen entwickelte sich mit der Land Art eine weitere Form ästhetischer Praxis, die die tradierten Vorstellungen von Kunst sprengte und neue Maßstäbe setzte. Diese hochinteressante Kunstrichtung, um die es in den letzten Jahren eher etwas still geworden ist, ruft nun das Koblenzer Museum Ludwig anläßlich der diesjährigen Bundesgartenschau mit einer großen Retrospektive ins Gedächtnis zurück (zur Kunst auf der BUGA siehe die Musenblätter vom 20.07.2011).
Ein Who is Who der Land Art
Land Art-Projekte mit ihren nicht selten gigantisch dimensionierten Eingriffen in oft kaum berührte Naturräume gehören zweifellos mit zum Spektakulärsten, was in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattgefunden hat. Es sind Inszenierungen von Künstlern, die ihre Ateliers hinter sich gelassen haben, um in und mit der Landschaft zu arbeiten und hier „letzte Freiheiten“ auszuloten.
Während sich in Deutschland der Begriff „Land Art“ durchgesetzt hat, sind in den USA, dem Ursprungsland dieser Kunstrichtung, eher die Begriffe „Earthworks“ oder „Earth Art“ gebräuchlich. Und tatsächlich handelte es sich bei den frühen Großprojekten der Land Art oft um dezidierte Eingriffe in das Erdreich, häufig mit Hilfe von Bulldozern und Baggern, manchmal auch mit Dynamit. Das waren künstlerische Interventionen, die nichts Ephemeres hatten, durchaus auf Dauer angelegt waren.
Smithson, Long, De Maria & Co.
So zum Beispiel Robert Smithsons „Spiral Jetty“ von 1970, eine Arbeit, die längst zur Ikone der Land
Im Unterschied zu Werken der Land Art, die in der Zeit überdauern (wollen), tendiert der britische Land Art-Künstler Richard Long eher dazu, in der Natur keine bleibenden Spuren zu hinterlassen. So war eine seiner frühesten Arbeiten im Naturraum eine gerade Linie, die durch längeres Hin- und Hergehen auf einer Wiese entstand und nach relativ kurzer Zeit wieder verschwand („A line made by walking“, 1967). Hier manifestiert sich eine in den Sechziger Jahren zeittypische kapitalismusfeindliche Haltung, die sich dezidiert dem im Kunstbetrieb vorherrschenden Verständnis des Kunstwerks als Ware, als vermarktbares, handelbares Objekt verweigert. Zuweilen schafft Long aber in Galerien und Museen auch reduzierte, minimalistische Bodenskulpturen aus Treibholz oder Steinen, so im Koblenzer Ludwig Museum die „Cornwall Carrara Line“ (1988), ein hinsichtlich Material, Farbe und Struktur kontrastierendes Ensemble aus grobem südenglischen Schiefer und feinem toskanischen Marmor.
Schlüsselwerke
Fotografisch dokumentiert wird in Koblenz eines der Schlüsselwerke der Land Art, nämlich Walter De Marias „Lightning Field“ von 1977 (s.o.) Auf einer Hochebene im US-Bundesstaat New Mexico hat der Künstler in einem rechteckigen Geviert von ca. 1,6 x 1,0 km in regelmäßigen Abständen 400 Edelstahlstäbe errichtet, deren Spitzen alle die gleiche Höhe über Null-Niveau erreichen und somit eine imaginäre horizontale Fläche bilden. Da das Gelände aber uneben ist, haben die Metallstäbe unterschiedliche Höhen (zwischen 4,6 und 8,1 m). Diese gigantische, die Landschaft streng geometrisch artikulierende Skulptur vollendet sich erst durch Mitwirkung der Naturgewalten, nämlich dann, wenn bei heftigen Gewittern die Blitze zwischen den Metallstäben einschlagen. Daher auch der bezeichnende Titel „Lightning Field“, also „Blitzfeld“. Zu den spektakulärsten und bekanntesten Interventionsprojekten im Landschaftsraum gehören die Verpackungs- und Verhüllungsaktionen des Künstlerehepaars Christo und Jean-Claude. Anders als bei anderen, oft recht spröden Land Art-Projekten handelt es sich bei diesen – immer zeitlich befristeten – Aktionen um hochgradig ästhetisierte Naturverfremdungen, denen von Anfang an die besondere mediale Aufmerksamkeit und Akzeptanz des Publikums sicher war. Erinnert sei nur an Großprojekte wie „Verhüllte Küste“ (1969), „Valley Curtain“ (1971/72), „Running Fence“ (1976), „Surrounded Islands“ (1983) oder die Verhüllung des Berliner Reichstags 1995.
Um es nicht nur bei einer historischen Bestandsaufnahme zu belassen, hat Beate Reiffenscheid auch neuere Arbeiten in die Ausstellung einbezogen, so etwa Filme von Ai Weiwei, die die zerstörerischen Auswirkungen der Industrialisierung, Urbanisierung und Automobilisierung in China zeigen, oder eine Sound Installation von Florian Dombois, die die globalen, an einem einzigen Tag registrierten seismischen Aktivitäten an 21 Erdbebenstationen dokumentiert und mithin das Gefahrenpotential von Naturkatastrophen bewußt macht. Begleitet wird die Ausstellung von einem sehr informativen Katalogbuch, zu dem u.a. auch Gilles A. Tiberghien, Autor des bis heute maßgeblichen Standardwerkes „Land Art“ von 1995, einen Beitrag beigesteuert hat.
Die Letzte Freiheit
Von den Pionieren der Land-Art der 1960er Jahre bis zur Natur im Cyberspace
Ludwig Museum im Deutschherrenhaus - Danziger Freiheit 1 - 56068 Koblenz
Bis 16.10.2011
Katalogbuch, hrsg. von Beate Reifenscheid mit Texten von Robert C. Morgan, Serge Paul, Gilles A. Tiberghien, deutsch/englisch, Verlag Silvana Editoriale, Mailand, 2011, 192 S., 25,00 EUR
Redaktion: Frank Becker |