Vom Abwesen seiner Liebsten.

Ein Gedicht von Martin Opitz mit einem Foto

von Karl-Heinz Krauskopf


Foto © Karl-Heinz Krauskopf
 
Vom Abwesen seiner Liebsten.
 
Werd ich die Zeit wohl sehn / daß doch der Tag anbreche /
Darinnen ich mein Lieb noch endlich schawen soll?
Jhr Stunden laufft doch fort / fliegt weg als Wasserbäche:
Weil jhr so langsam seyd so bin ich trawrens voll.
Auff / Morgenröth / auff auff; spann' an des Phebus Pferde /
Vnd sprich / er solle fort / es sey schon ziemlich spat /
Daß er betrogen werd' / vnd nahe sich der Erde:
Ach Thetis laß ihn gehn den langen Sommergrad.
Du / Monde / kanstu dich denn also wol verweilen?
Wie lange seet doch der Morpheus Schlaffkraut auß?
Sieh' ob du nicht vermagst die Sonne zu ereilen /
Vnd einzukommen noch in jhr vergüldtes Hauß.
Ich muß noch manche stund' in Sorg' vnnd Kummer schweben /
Muß noch in Angst vnd Noth verbringen lange Zeit /
Eh' als der Tag anbricht / darinnen mich mein Leben
Bescheine durch das Liecht der hohen Freundligkeit.
Ach warumb hab' ich doch in mein Gemüt' empfangen
Jhr' vnerhörte Zier vnd Tugend gantz vnd gar?
Mein Hertze seufftzet stets / vnd brennet mit Verlangen /
Vnd macht mir einen Tag noch länger als ein Jahr.
Als mich das schnöde Glück' auß jhrer Hand gerissen /
Hat es zugleiche mich gerissen auch von mir:
Ich muß mein Hertze nun mit Threnen stets begießen:
Ich bin nicht bey mir selbst wann ich nicht bin bey jhr.
Ach solt' ich sehen nur jhr Göttliches Gesichte /
Wie selig weren mir Gedancken / Muth vnd Sinn!
Ein eintzig Augenblick von jhrem hellen Liechte /
Daß fast die Sternen trutzt / legt alles Trawren hin.
Ach keme doch die Zeit der hochgewünschten frewden /
Daß ich erblickte nur den wunderklaren schein.
Wann aber ich von jhr mich werde müssen scheiden /
Da wünsch' ich weiter dann im leben nicht zu seyn.
 
 
Martin Opitz
(1597-1639)