Swing-Biographien

Die Ernst Höllerhagen Story und Andrej Hermlin "My Way"

von Jörg Aufenanger
Swing-Biographien
 
Er war nur 44 Jahre alt, als er 1956 den Freitod wählte, Ernst Höllerhagen, der Klarinettist und Saxophonist, den man mal den europäischen King of Swing genannt hat. Schon im Alter von zwanzig Jahren wurde er zum besten deutschen Jazzmusiker gekürt. Noch im Nationalsozialismus hat er Swing gespielt, als der schon verboten war, und zwar mitten in Berlin, im legendären Feminapalast an der Ecke Tauentzien. Diese Musik mit ihrer Leichtigkeit und Beschwingtheit paßte nicht zum Marschrhythmus des Dritten Reichs, sie war verdächtig. Als man ihn mal fragte, ob er Nationalsozialist sei, meinte Höllerhagen, er sei Saxophonist.
Eine Biographie erinnert nun an den vergessenen Musiker. Beschwingt und anschaulich erzählt sie von einem Musikerleben mit tragischer Note. 1912 in Barmen im Wuppertal geboren, nimmt sich seine Mutter früh das Leben, zur Ersatzheimat wird die Musik, im Kino improvisiert er als Dreizehnjähriger zu den Stummfilmen auf der Klarinette, sieben Jahre später spielt Höllerhagen schon in einem Tanzorchester, bevor er sich dem Swing widmet, in ihm die Musik seines Lebens gefunden hat. Er geht auf Tournee ins Ausland, kehrt nach Deutschland zurück, spielt in Berlin noch kurze Zeit die verbotene Musik im Orchester von Teddy Stauffer, bevor er ins Schweizer Exil flüchtet. Wegen der Musik, die er spielen will. Dort gründet er ein Quintett, nimmt mit ihm Schallplatten auf und wird nach dem Kriegsende Musiker im Hazy Osterwald-Sextett. Doch die Swingära neigt sich im beginnenden westlichen Wirtschaftswunder dem Ende zu, so daß Ernst Höllerhagen auch Schlager wie „Ja die Mädchen von Mexiko“ spielen und dabei lustig sein muß. Depressionen überfallen ihn, dagegen hilft auch die Musik nicht mehr im Juli 1956, als das Leben eines außergewöhnlichen Swingmusikers ein Ende nimmt.


E.Dieter Fränzel (lks.) u. Heiner Bontrup (re.) im Gespräch mit Rainer Widmann - Foto © Karl-Heinz Krauskopf
 
Heiner Bontrup/ E. Dieter Fränzel: Die Ernst Höllerhagen Story
© 2011 Nordpark Verlag Wuppertal - 182 Seiten, Broschur, mit Diskographie, 15 €
 
 
Er ist nicht nur Bandleader des besten deutschen Swingorchesters, sondern auch Sohn des
Schriftstellers Stephan Hermlin, einer literarischen und politischen Instanz in der DDR. „My Way“ nennt Andrej Hermlin die frühe Autobiographie, die er mit 45 Jahren vorlegt hat. In ihr erzählt er von seiner dank der Stellung des Vaters privilegierten Jugend. Dabei rückt der Sohn den Vater immer ins rechte Licht und verharmlost dessen zeitweilige Verwicklung in den DDR Machtapparat. Zu den Privilegien gehörte auch, Schallplatten aus dem Westen zu erhalten. So konnte Andrej schon mit sieben Jahren die Musik hören, die zu seiner eigentlichen Heimat werden sollte: Swing. Eine Musik, die in der DDR nicht wie im Nationalsozialismus verboten war, aber lange ins sozialistische Abseits gedrängt war und die den jungen Hermlin zum Außenseiter machte und seinen Widerspruchsgeist anstachelte, von dem er in dem Buch mit einer gewissen Selbstgefälligkeit erzählt. Noch zu DDR-Zeiten gelang es ihm, das Swing Dance Orchestra zu gründen, Gershwins „I got Rhythm“ wird zu seinem Motto. Das Orchester spielt in Jugendclubs und dann auch an jenem 7. Oktober 89 im Palast der Republik, als Honecker und Gorbatschow sich treffen und das Ende der DDR schon eingeläutet ist. Draußen demonstrieren Tausende, drinnen spielt Hermlins Orchester.
Die Autobiographie erzählt in zahlreichen Geschichten und Apercus von einer Jugend in der DDR, die sich oft um den berühmten Vater ranken. In dessen Schatten und Schutz riskiert der Sohn immer mal wieder kritische Worte gegen das Regime. Von seinem Leben für den Swing erfährt man leider zu wenig.
 
Andrej Hermlin: My Way
© 2011 Aufbau Verlag Berlin - 301 Seiten, 19,95 €


Zuerst erschienen in der Berliner Zeitung am 14.7.2011 (ohne die Fotos)
Redaktion Musenblätter: Frank Becker