Das Bauhaus und danach
Das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr erinnert an das Nachkriegsschaffen des Künstlers Werner Graeff Sammeln, bewahren, erforschen, präsentieren und vermitteln sind die zentralen Aufgaben eines Museums. Das hat viel mit Erinnerungsarbeit zu tun, also damit, gegen das kurze Gedächtnis anzuarbeiten und kulturelle Phänomene und künstlerische Positionen erneut ins Bewußtsein zu heben, die drohen, in Vergessenheit zu geraten, oder die gar schon dem Vergessen anheimgefallen sind.
Nun wird man nicht behaupten können, daß den 1901 in Wuppertal-Sonnborn geborenen Werner Graeff dieses Schicksal bereits ereilt hätte. Denn als ein Künstler, der 1921/22 am frühen Bauhaus studiert hat, sich dann dem holländischen Konstruktivismus in Gestalt der Stijl-Gruppe (mit ihren Hauptvertretern Piet Mondrian und Theo van Doesburg) angeschlossen hat, der 1927 Pressechef der legendären Werkbundausstellung „Die Wohnung“ auf dem Stuttgarter Weißenhof war und anläßlich
Emigration und Rückkehr
Es ist sicherlich nicht abwegig, Graeff als einen Künstler der „verschollenen Generation“ zu bezeichnen, um einen 1980 von Rainer Zimmermann geprägten Begriff aufzugreifen. Meinte Zimmermann damit vor allem jene um 1900 geborenen Expressionisten der zweiten Phase, die schon in der Weimarer Republik hervorgetreten waren, durch die Kunstbarbarei der Nationalsozialisten aber in ihrer Entfaltung behindert wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch schwer Fuß fassen konnten, so trifft diese Einordnung in gewisser Hinsicht auch für Werner Graeff zu. Obwohl kein Expressionist, sondern als Konstruktivist das genaue Gegenteil dessen, mußte auch er erleben, welch tiefen Einschnitt die Machtübernahme durch die Nazis bedeutete. 1934 emigrierte er nach Spanien, 1936 mit Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges siedelte er in die Schweiz über. Dort gründete er 1940 die moderne „Fotoschule Locarno“, die bis 1945 bestand, 1949/50 leitete er Fotokurse in Zürich. Diese Tätigkeiten und die Tatsache, daß er einige Fotobücher veröffentlicht hatte, prädestinierten ihn nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1951, an der Folkwang-Schule in Essen die Leitung der „Fachklasse für freie und angewandte Fotografie“ zu übernehmen. Obwohl als Fotodozent durchaus erfolgreich, profilierte sich Graeff in den Nachkriegsjahrzehnten nicht als Fotograf, sondern als Maler, der dort anzuknüpfen suchte, wo in den Dreißiger Jahren gleichsam
Das künstlerische Umfeld
Bemerkenswert ist, daß Werner Graeff in der Mülheimer Ausstellung nicht mit einer der üblichen Personality-Shows geehrt wird (am 24. August würde er 110 Jahr alt), sondern daß Beate Reese sein Œuvre im künstlerischen Umfeld – insbesondere des kriegszerstörten und erneut aufstrebenden Ruhrgebietes – der Fünfziger und Sechziger Jahre verortet hat. Das ist überaus verdienstvoll, weil Graeff auf diese Weise nicht einer isolierten Betrachtung ausgeliefert wird, sondern zu anderen, sowohl affinen als auch konträren Positionen in Beziehung gesetzt werden kann. Flankiert werden seine Werke von Arbeiten zahlreicher Künstler, denen er kollegial oder freundschaftlich verbunden war oder die zum Schülerkreis an der Folkwang-Schule gehörten. Erwähnt seien namentlich nur Willi Baumeister (über den er schon 1927 publiziert hatte), Max Burchartz, Ursula Hirsch (ab 1964 die zweite Frau des Künstlers), Gustav Deppe, Rolf Jörres,
Nicht ganz unproblematisch erscheint allerdings der Titel der Ausstellung „Das Bauhaus und danach“. Denn Graeffs Anwesenheit am Weimarer Bauhaus beschränkte sich auf das Wintersemester 1921/22 und kann allenfalls als eine Episode bezeichnet werden, die es kaum rechtfertigt, ihn im eigentlichen Sinne als „Bauhäusler“ zu bezeichnen. Schon nach dem halbjährigen, von Johannes Itten geleiteten Vorkurs verließ er diese progressivste aller Kunstschulen der Weimarer Republik, ohne mit der dreijährigen Ausbildung in einer der Werkstätten der Schule – dem substantiellen Kern des als Form- und Werklehre dual konzipierten Bauhaus-Unterrichtes – überhaupt begonnen zu haben, und schloß sich dem holländischen Stijl-Künster Theo van Doesburg an, der in Weimar Privatseminare zur Theorie und Praxis der „elementaren Gestaltung“ abhielt. Diese Hinwendung zum Stijl-Konstruktivismus war für Graeffs weitere Entwicklung zweifellos wesentlich maßgeblicher als der Einfluß des frühen, noch expressionistischen Bauhauses. Wenn aber in Mülheim, wo der Künstler von 1970 bis zu seinem Tod 1978 lebte, schon mit dem Zauberwort „Bauhaus“ kokettiert wird, kann man nur bedauern, daß die kurze Bauhaus-Zeit Graeffs nicht mit einer einzigen seiner interessanten Vorkurs-Arbeiten belegt
Gleichwohl ist die Mülheimer Schau gerade wegen des breitgefächerten Nachkriegskontextes, in dem man Graeff hier erleben kann, unbedingt sehenswert. Überdies ist sie ein beachtliches Dokument der entschlossenen Selbstbehauptung eines der kleineren Museen im Industrierevier, das sich nicht zwischen den Mühlsteinen benachbarter großer Häuser wie dem Lehmbruck Museum in Duisburg und dem Museum Folkwang in Essen zerreiben läßt.
Das Bauhaus und danach. Werner Graeff und die Nachkriegsmoderne
Kunstmuseum Mülheim in der Alten Post
Synagogenplatz 1
45468 Mülheim an der Ruhr
Weitere Informationen: www.muelheim-ruhr.de
bis 18. September 2011
Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch mit Beiträgen von Evelyn Bergner, Beate Reese, Uwe Rüth, Rainer K. Wick, Andreas Zeising und einem Interview zwischen Ursula Graeff-Hirsch und Klaus Kemp erschienen; Wienand Verlag, Köln; ISBN 978-3-86832-070-1; an der Museumskasse 19,80 EUR, im Buchhandel 29,80 EUR.
Wichtige Literatur:
Im Jovis Verlag ist 2010 eine umfangreiche Würdigung des Werks und Lebens von Werner Graeff erschienen, herausgegeben von Prof. Dr. Gerda Breuer, Professorin für Kunst- und Designgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und Leiterin der renommierten Wuppertaler Design-Sammlung. Der sorgfältig recherchierte und reich illustrierte Band stellt eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Werner Graeff und seinen Ideen dar und dürfte zu den wichtigsten Publikationen über Graeff zählen. Gerda Breuer (Hg.) "Werner Graeff 1901-1978 - Der Künstleringenieur"
© 2010 jovis Verlag, 340 Seiten, geb., 23,5 x 31 cm, € 42,- sFr 70,50
ISBN 978-3-86859-057-9
Weitere Informationen unter: www.jovis.de und www.gerdabreuer.de Buchbesprechungen und Berichte über Gerda Breuer in den Musenblättern: → hier |