Karikatur darf alles

"Ich traue meinen Augen nicht" - Katalog zu einer Ausstellung im Karikatur Museum Krems

von Frank Becker

© Residenz Verlag
Was darf die Karikatur?
Alles!

Mit der Karikatur verhält es sich wie mit der Satire - beide dürfen alles. Da sind wir uns mit Kurt Tucholsky einig. Das mag manch einen, der von ihrem spitzen Pfeil getroffen wird, arg schmerzen. Millionen anderen aber verschafft die gezielte Übertreibung mit dem Zeichenstift Luft. Sardonisches Gelächter als Befreiung von politischem, religiösem, seelischem, publizistischem Ungemach und Druck ist das erstrebte Ziel des Karikaturisten wie des Satirikers und Kabarettisten. Jeder mit seinem Mittel. Die Kunst dieser häufig geradezu genialen graphischen Übertreibung schafft für diesen Überdruck Ventile,
schafft einen Raum der geistigen Befreiung - und wird genau deshalb von den Hütern engstirniger Dogmen, von politischen Tyrannen und religiösen Eiferern so gefürchtet und unerbittlich bekämpft. Eklatantestes Beispiel der letzten Jahre waren die sogenannten "Mohammed-Karikaturen" einer dänischen Zeitung, die ein virulentes Problem überspitzt darstellten und von muslimischen Haßpredigern und Demagogen zur Entfesselung hemmungsloser Gewalt gegen den vermeintlichen Feind, den "Ungläubigen" benutzt wurden. Menschen starben, Häuser wurden angezündet, Fahnen verbrannt, zu Mord aufgerufen und Attentate auf einen der Zeichner unternommen. Wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man es nun wiederum lustig finden, daß auch eine Menge Schweizer Fahnen verbrannt wurden, was nicht unbedingt für die Intelligenz der aufgehetzten Massen und ihrer Anführer spricht - und auch schon wieder Satire in sich ist.

Deutlich wurde dadurch aber vor allem, wie Karikaturen wahrgenommen werden und welche Wirkung sie haben können. Schaffe ich es, mit einer Zeichnung den wunden Punkt einer Person, einer politischen oder kulturellen Situation zu treffen, löse ich damit Emotionen aus. Aufgeklärte Kreise können damit umgehen, sich sogar u.U. selber darüber amüsieren und - wer weiß - Veränderungen herbeiführen. Andere sind beleidigt. Das Publikum aber zieht generell den Nutzen - es kann mit dem Finger in die Richtung zeigen, die der Zeichenstift vorbereitet hat. Gesellschaftliche Zustände dürfen belächelt oder belacht werden, Personen des öffentlichen Lebens werden auf deutliche Weise kritisiert. Denn die Karikatur, üblicherweise aus nur einem Bild bestehend, reduziert die Kritik auf das Wesentliche der Situation bzw. Person. Das haben Buchmaler, Zeichner, Stecher schon früh erkannt, wie ein Buch dokumentiert, das zum 10-jährigen Bestehen des Karikatur-Museums in Krems und einer zu diesem Anlaß ausgerichteten Ausstellung publiziert wurde: "Ich traue meinen Augen nicht - Streifzüge durch 400 Jahre Karikatur und Bildsatire". Gezeigt werden in Ausstellung und Buch Blätter aus der Sammlung Werner Nekes.
"Es geht dabei um Verschlüsselung, Verzerrung, Mehrdeutigkeit, Täuschung, spielerische Verrätselung und Illusion, wobei dem Aspekt der Karikatur als Unterhaltungsmedium besonderer Stellenwert zukommt. In unterschiedlichen Ausstellungsbereichen wird den Voraussetzungen, Anfängen und physiognomischen Wurzeln der Karikatur nachgegangen, die Unterwanderung der Kunst durch die Karikatur aufgezeigt, unterschiedliche Bildtypen vorgestellt, sowie den

J.J. Grandville, Un autre monde. Le Royaume des Marionettes
(Das Reich der Marionetten)
grundsätzlichen Fragen: Was ist der Mensch? Was ist die Kunst? nachgegangen." - Soweit ein Auszug aus dem Pressetext zur Ausstellung, die Arbeiten von William Hogarth bis Ronald Searle, von Paul Flora bis Saul Steinberg, von Leonardo da Vinci, Adolf Oberländer und Honoré Daumier bis zu Werner Nekes selbst zeigt. Vexier- und Scherzbilder, frühe Kupferstiche und Buchillustrationen gehören ebenso dazu wie die fotografische Satire, der sich Nekes verschrieben hat.

Die in die Tiefe gehenden Texte von Werner Hofmann, Jutta M. Pichler und Werner Nekes machen mit den zahllosen Bildbeispielen aus dem Katalog sicher ein Standardwerk zur Geschichte der künstlerischen Karikatur vor allem der Zeit vom 17.-19. Jahrhundert. Wer allerdings die politische Karikatur des 20./21. Jahrhunderts sucht, wird sich enttäuscht sehen. Ein wenig "L´art pour l´art" sind Buch und Ausstellung schon. Damit kann man aber dank der Qualität leben. Was aber schmerzlich fehlt, sind ein Stichwortverzeichnis und Namensindex, die den Band zugänglicher gemacht hätten.

Die Ausstellung wird noch bis zum 18. September in Krems/Österreich zu sehen sein.

Werner Hofmann - Werner Nekes - Jutta M. Pichler:  "Ich traue meinen Augen nicht"
Streifzüge durch 400 Jahre Karikatur und Bildsatire. Mit Werken aus der Sammlung Werner Nekes.
© 2011 Residenz Verlag / Karikatur Museum Krems
160 reich illustrierte Seiten, gebunden, 21 x 26 cm, ISBN 9783701732357
24,90 € / sFr 37,90
Weitere Informationen unter: www.karikaturmuseum.at  und www.residenzverlag.at

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