Prunkvoll gearbeiteter Ohrring aus dem Jahr 1100 in Köln geborgen

Der "Kölner Ohrring" – ein Zeugnis mittelalterlicher Goldschmiedekunst

Red./ARe

Foto: Stadt Köln
Prunkvoll gearbeiteter Ohrring aus dem Jahr 1100
im ehemals jüdischen Viertel Kölns geborgen
 
Der "Kölner Ohrring" –
ein weltweit bedeutender Fund mittelalterlicher Goldschmiedekunst
 
Köln - Ein außergewöhnlicher Fund unterstreicht erneut die Bedeutung von Köln als archäologischer Grabungsstätte. Die Ausgrabungen in einer Kloake des 11. Jahrhunderts am Rande des mittelalterlichen jüdischen Viertels haben haben ein bedeutendes Schmuckstück, einen prunkvoll gearbeiteten Ohrring mit deutlicher Verwandtschaft zu Goldschmiedarbeiten aus imperialem Umkreis zutage gefördert, teilte Kölns Kulturdezernent Georg Quander am Dienstag mit.
 
Prof. Georg Quander über den außergewöhnlichen Fund: „ Aus der südlichen Platzfläche unserer Grabung kommt nun, Stück für Stück, hochbedeutendes Fundmaterial zu Tage, das in diesem Falle auch einen hohen materiellen Wert hat, vom enormen kulturgeschichtlichen Wert einmal ganz abgesehen. Nur die akribische Detailarbeit der Ausgräber hat einen der bedeutendsten Funde mittelalterlicher Goldschmiedekunst weltweit ans Licht gebracht“, so Quander weiter.
 
Die Entdeckung eines derart bedeutenden Schmuckstücks wie des Kölner Ohrrings war an diesem Ort kaum zu erwarten. Sie stellt eine weitere, höchst eindrucksvolle Bestätigung der Archäologischen Zone Köln und ihrer herausragenden internationalen Bedeutung dar. Die jüngsten Funde in der betreffenden Kloake reichen bis in die Zeit des Pogroms 1349 zurück, die Masse der hier geborgenen Objekte ist aber eindeutig älter und überwiegend in die zweite Hälfte des 12. und das beginnende 13. Jahrhundert zu setzen. Die ältesten Stücke – und aus den entsprechenden Schichten stammt auch der Ohrring – müssen in die Zeit vor oder um 1100 datiert werden.
 
Einer der führenden Experten für mittelalterliche Goldschmiedekunst, Dr. Lothar Lambacher, Stv. Dir. des Kunstgewerbemuseums der Staatliche Museen zu Berlin, der bei der Pressekonferenz anwesend war, zum Fund aus Köln: „Ich bezeichne es als Jahrhundertfund. Der Kölner Ohrring zählt neben den drei Vergleichsobjekten zu den einzigen existierenden Exemplaren dieser Gattung weltweit. Das halbmondförmige Schmuckstück ist ein Fund allerersten Ranges und hochadeliger, wahrscheinlich sogar kaiserlicher Herkunft.“
 
Der „Dreiviertelmond-Ohring“, ein Kleinod höchster Goldschmiedekunst
 
Der Ohrring ist aus Gold gefertigt und reich mit Edelsteinen, Perlen und einer antiken Gemme besetzt. Er hat die Form einer sogenannten „Lunula“, ist also halb- (genauer: dreiviertel-) mondförmig. Ohrringe ähnlicher Form wurden bereits im Rahmen sehr berühmter Funde geborgen, die prunkvolle und in ihren Details bislang einzigartige Gestaltung legt allerdings den Schluß nahe, daß es sich beim Kölner Ohrring um ein Unikat handelt (siehe unten). Bemerkenswert an seiner Gestaltung ist, daß sich türkisfarbene Glasperlen mit echten, sehr großen Perlen abwechseln, hinzu treten dunkelrote Schmucksteine aus Glas. Glas war in der Zeit des frühen bis hohen Mittelalters ein äußerst wertvoller Werkstoff. Die dunkelroten Steine stehen in interessanten Kontrast zu der dunkelblauen römischen Gemme mit der Darstellung eines Kriegers.
 
Prominente Provenienz? Der Kölner Ohrring im Kontext königlicher Schatzfunde
 
Der aus der Kölner Kloake geborgene Ohrring steht“, wie Sven Schütte, Leiter der Archäologischen Zone Jüdisches Museum Köln, betont, „als herausragender Fund aus dem 10./11. Jahrhundert nicht für sich. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Mainz ein Schatzfund in mehreren Partien geborgen, der zahlreiche wertvolle Schmuckstücke enthielt (heute im Kunstgewerbemuseum in Berlin), unter anderem zwei sehr ähnliche Ohrringe.“ In der Nähe wurde wenige Jahre später ein dritter Ohrring gefunden (heute im Landesmuseum Mainz). Dieser Schmuck wurde sehr früh zunächst der Kaiserin Gisela, dann der Kaiserin Agnes zugeschrieben. Die Forscherin Mechthild Schulze-Dörlamm datierte ihn ins 11. Jahrhundert, zahlreiche andere Forscher und Forscherinnen neigen einer Datierung Ende des 10. Jahrhunderts zu. Zum Kölner Dreiviertelmond-Ohring erklärt Schulze-Dörlamm, er sei „vom

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Typ Mainz, der ja wirklich fast alle Zierformen trägt, mit denen man im 11. Jahrhundert goldene P
retiosen (Kreuze, Fibeln, Ohrringe) ausgeschmückt hat.“ Andererseits, so die Expertin des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, weise er „mit den beiden Tierköpfen an den Sichelspitzen, den zwei zusätzlichen Rundeln in der Biegung der Lunula und mit der römischen Gemme auch Besonderheiten auf, die ihn zu einem Unikat machen. […] Ein goldener Dreiviertelmond-Ohrring von sehr viel schlichterer Machart stammt aus dem Schatz von Haddien im Landeskreis Friesland (vgl: E. Först, Hammaburg 12, 1998,133 ff. Abb. 2), den Elke Först in das späte 10. bis frühe 11. Jahrhundert eingestuft hat.“
Verwandtschaft besteht auch zu äußerst prominenten Exponaten der Domschatzkammer Essen, wie deren Leiterin Birgitta Falk betont: „Es gibt zwei Objekte bzw. Teile eines Objektes in der Essener Schatzkammer, die den Fotos nach eng mit ihrem Ohrring im Zusammenhang stehen. Zum einen ist dies die Krone [die so genannte Kinderkrone Ottos III, Anm.], zum anderen sind dies die Balkenenden des Kreuzes mit den großen Senkschmelzen […] wir befinden uns damit auf jeden Fall im 11. Jahrhundert“
 
Ein Unikat nach byzantinischem Geschmack
 
Unabhängig von der genauen Datierung handelt es sich bei dem Kölner Ohrring zweifelsfrei um einen herausragenden Fund einer Goldschmiedearbeit dieser Zeit, möglicherweise aus imperialem Umkreis. Im Vergleich zu den genannten Stücken sticht der Kölner Ohrring durch sein besonders reiches Dekorum hervor – etwa mit den auch von Schulze-Dörlamm genannten Endigungen vor dem Bügel, die in Form von Tierköpfen ausgeführt sind. Andererseits ist seine Rückseite deutlich einfacher gestaltet als bei den oben genannten Ohrringen. Die Zuordnung zum Zeitraum vom Ende des 10., bis ins zweite Viertel des 11. Jahrhundert unterstreichen zahlreiche Goldschmiedetechniken der Zeit, wie Granulation, Perldrähte und so genannte Schlaufenfassungen für die Perlen und Edelsteine.
Der Geschmack des kleinen Stücks ist byzantinisch. Der Kölner Ohrring schafft damit eine Verbindung zum ehemaligen Osten des römischen Reiches, aus dessen Umfeld auch die 991 in Köln gestorbene aber in Konstantinopel geborene Kaiserin Theophanu, die Gattin Ottos II., stammt. Sie errichtete in Köln den aufwendigen Bau von St. Pantaleon, wo sie auch bestattet wurde.
 
Das Kleinod aus der Kloake – wie kam das Unikat zum Unrat?
 
„Wie der Ohrring ca. 1000 Jahre nach seiner Entstehung in die Fundstelle am Rathausplatz kam, muß offen bleiben, wir wissen noch nicht genug über die Fundumstände“, betont Sven Schütte. „Der Fundort liegt an der Nahtstelle des Goldschmiedeviertels zum jüdischen Viertel, das betreffende Haus, in dessen Kloake der Ohrring geborgen wurde, läßt sich jedoch klar dem jüdischen Viertel zuordnen. Auch Hebräische Schrifttäfelchen stammen aus demselben Fundzusammenhang. Knochenfunde aus der Kloake, die inzwischen archäozoologisch untersucht wurden, belegen eindeutig die koschere Küche eines jüdischen Haushalts“, so Schütte weiter.
Es ist folglich denkbar, daß das Stück im Zusammenhang mit dem Pogrom des Jahres 1096 in den Boden kam. „Vielleicht“, so Schütte, „weil es in höchster Not verborgen wurde. Es ist denkbar, daß es als Pfand versetzt worden ist, aber auch andere Möglichkeiten der Deponierung müssen in Betracht gezogen werden.“ Aufgrund der überragenden Bedeutung der Goldschmiedarbeit kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Ohrring zur Zeit seiner Entstehung als Verlust in die Kloake geraten ist.
Der Kölner Neufund und die Vergleichsfunde wurden bisher einer Mainzer Werkstatt zugeordnet. Der Kölner Fund eröffnet nun die Möglichkeit, auch hier in Köln eine bedeutende Goldschmiedewerkstatt des Hochmittelalters anzunehmen. Dr. Marianne Gechter, Stv. Leiterin der Archäologischen Zone Jüdisches Museum Köln zum historischen Hintergrund des Fundes: „Köln war ein bedeutendes Goldschmiedezentrum des Mittelalters. Im Spätmittelalter gab es zeitweise über 100 Werkstätten. Die schriftlichen Quellen setzen erst im 12 Jhdt. ein. Die archäologischen Funde ergänzen die schriftlichen Quellen, wobei sie auch in Zeiten zurückreichen, von denen noch keine Aufzeichnungen erhalten sind. Die archäologischen Funde (auch Goldschmiedewerkstattfunde) sind u.a. ein wichtiger Beitrag zur Kölner Wirtschaftsgeschichte.“
Die genaue Erforschung der Fundstelle dauert noch an, sie wird möglicherweise noch wesentlich mehr spannende Details zu Tage fördern.
 
Redaktion: Frank Becker