Blechlawinen, Nasenhaare und die Liebe

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
10. Juni: Das merken sie gleich, wenn sie von der A 44 auf die A 2 fahren. Da herrscht ein anderes Niveau. Da wird ein anderes Autofahren vorausgesetzt. Da wird schneller gefahren und mehr gefordert. Da wird überholt, was das Zeug hält. Viele drängeln automatisch und wollen vor dem anderen am Arbeitsplatz sein.  
 
11. Juni: Der Mann stand auf dem Bürgersteig und schaute der Blechlawine nach, die Auto für Auto an seinem Haus vorüber schlich. Er ahnte natürlich nicht, daß er der Grund war, weswegen alle so langsam fuhren. Der Stau hatte sich nur gebildet, weil der Mann am Vormittag beim Friseur war und ihm die neue Frisur so außergewöhnlich gut stand. Kleine Korrekturen machen sich immer bezahlt. Ich weiß noch, wie ich mir mal die Nasenhaare entfernen ließ und gleich als Hoffnungsträger der FDP gehandelt  wurde.
 
13. Juni: Es hatte geregnet. Der Hund lief durch das nasse Gras. „So stelle ich mir eine Waschstraße vor“, dachte er und fühlte sich wie ein Auto.
 
17. Juni: Herr Meier wollte geliebt werden. Er war freundlich zu seinen Nachbarn, half gerne aus, wenn jemand in Not war. Er gab bei Spendenaktionen sein Geld und lebte so, daß kein anderer von ihm genervt war. „Ich kann diesen Gutmenschen nicht leiden“, sagte Herr Sollpeter. „Er ist mir zu freundlich, seine Hilfsbereitschaft stört. Das ist so einer, der von allen geliebt werden will.“ Herr Meier schluckte. Irgendwie ist es egal was man macht, dachte er. Es finden sich immer andere, die sich daran stören. Er beschloß den Anspruch des Geliebtwerdenwollens ein wenig zurückzustellen.



© 2011 Erwin Grosche
Redaktion: Frank Becker