Gnadenlos

Jussi Adler Olsen - "Erlösung"

von Frank Becker
Carl Mørck und ein Mörder
mit vielen Gesichtern

Schon mit den ersten beiden in Deutschland erschienenen Fällen für das Kopenhagener "Sonderdezernat Q" haben sein Schöpfer Jussi Adler Olsen und dessen Chef-Ermittler Carl Mørck mit Riesenschritten das Terrain erobert, das bislang einer Elite schwedischer Thriller-Autoren vorbehalten war. Ich möchte hier gar keine Namen nennen - sie sind ohnehin Schall und Rauch, seit "Erbarmen" und "Schändung" mit ihrer einzigartigen Spannung völlig neue Dimensionen des Herzklopfens gezeigt haben. Daß man nach Adler Olsens Büchern süchtig werden kann, liegt aber nicht allein an der atemlosen Spannung. Es ist das von ihm brillant erdachte Personal, das neben den packenden Stoffen der Romane ein Gutteil zu dem Erfolg beiträgt. So auch wieder in "Erlösung" (Originaltitel "Flaskepost fra P").

Längst ist der eigenwillige Carl Mørck mit seinem zugegeben etwas merkwürdigen Ermittlerteam im Keller des Kopenhagener Polizeipräsidiums nicht mehr nur der abgeschobene Außenseiter. Die Klärung der beiden komplexen und grausamen Kriminalfälle, mit denen das Dezernat Q die kriminalistische Quardratur des Kreises geschafft hat, hat ihm neuen Respekt eingetragen. Eine neue, verzwickte Aufgabe kommt auf Mørck, seinen Assisten Hafez el Assad und die Bürokraft Rose zu, als sich schottische Kollegen mit der Bitte an die dänische Polizei wenden, bei der Entschlüsselung einer mysteriösen möglicherweise aus Dänemark stammenden Flaschenpost zu helfen, die mit einem Kriminalfall in Verbindung stehen könnte. Jahrelang war dieser Zufallsfund unbeachtet geblieben, aber jetzt kommt der Verdacht auf, der Hilferuf auf dem nahezu unleserlich gewordenen Papier könnte auf ein schreckliches Drama hinweisen, das sich vor Jahren abgespielt hat - denn er ist mit Blut geschrieben. Natürlich hat der Leser gegenüber Mørck und seinem Team genau den entscheidenenden Informations-Vorsprung, der ihn in die Lage versetzt mitzufiebern, Kommendes zu ahnen und wie als Kind beim Kasperle-Theater von der Gefahr zu wissen, die ihn befähigt, für Mørck zu denken, warnen zu wollen, wo es brenzlig wird und mit den Betroffenen Angst, Schmerz und Hoffnungslosigkeit, aber auch Mut und Enschlossenheit zu empfinden.

Adler Olsen hat um die Entführung und Ermordung von Kindern aus strenggläubig hierarchisch geführten Familien, die christlichen Sekten wie den Zeugen Jehovas angehören, ein unerhört fesselndes Erzählgerüst gebaut, das auf allen kunstvoll eingezogenen Ebenen nervenzerfetzende Spannung erzeugt, den Leser atemlos macht. Wieso werden die vermutlichen Opfer nicht vermißt, wurde nie eine Anzeige erstattet? Was bezweckte der unheimliche Unbekannte mit seinen Taten? Mit fortschreitender Handlung liest man immer zügiger, fiebernder, während Adler-Olsen Kapitel für Kapitel kleine Puzzlesteine auslegt, die es ermöglichen, dem Täter näher zu kommen. Aber eben nur näher. Denn ebenso wie für Mørck bleibt für den Leser der eiskalte Täter ein gesichtsloses Phantom oder besser: ein Phantom mit vielen Gesichtern, Masken und Namen. Wer aber ist er wirklich?  Wir lernen seine Frau Mia in Roskilde kennen, die begreift, daß sich hinter der bürgerlichen Fassade etwas ganz Schreckliches und vor allem ein Fremder verbirgt und sich nun vor ihm retten will. Wir treffen auf Eltern und Geschwister früherer Opfer und erkennen, daß "Er" seit vielen Jahren eine grausame, blutige Spur durch Dänemark zieht. Wir sind ohne helfen zu können dabei, wie er gnadenlos und eiskalt psychopathisch eine weitere Schreckenstat begeht und wie sich ihm unerwartet durch Frauen wie Isabel Jønsson ein entscheidender Widerstand entgegenstemmt.

Auf Nebenschauplätzen wird offenbar, daß
Carl Mørcks Assistent, der gewitzte Syrer Hafez el Assad, handfest, reaktionsschnell und ein scharfsinniger Beobachter, anscheinend ein dunkles Geheimnis um sich und sein Leben bewahrt, daß auch die für Rose eingesprungene Yrsa, angeblich ihre Schwester, nicht die ist, für die sie sich ausgibt und wie das Leben von Mørcks Freund und Kollege Hardy, der seit einer Schußverletzung gelähmt ist und bei ihm lebt, sich entwickelt. Wer ist Assad eigentlich, und wer ist die plötzlich aufgetauchte Yrsa? Carl Mørcks eigenes tristes Leben wird durch eine heftige Affäre mit der Polizeipsychologin Mona und einen gelegentlichen Blick auf die zauberhafte Rückseite der Sekretärin Lis um einiges bunter.
Düster hingegen entwicklet sich bei zunehmender Erkenntnis die Ermittlungsarbeit, als Carl und Assad erkennen, daß sie es mit einem Monster zu tun haben, einem aalglatten Killer, der ihnen einfach nicht ins Netz gehen will. Aber sie ziehen, auch dank der Hilfe von Tomas Laursen, eines früheren Kriminaltechnikers, die Maschen enger. Das Puzzle setzt sich zwischen Græsted in Nord-Seeland, Viborg in Mittel-Jütland,
Odense auf Fünen und zwischen Roskilde in West-Seeland, Dollerup, Ballerup, Hundested und Ferslev Stück um Stück zusammen.

Jussi Adler-Olsens Romane gehören derzeit zum Besten des Genres Thriller. Man kann sie ohne Vorbehalt
empfehlen, mal abgesehen von dem Rat, sie Jugendlichen und Menschen mit schwachen Nerven nicht unbedingt in die Hand zu geben. Meine Spannungs-Favoriten, ausgezeichnet mit dem Musenkuß!
 
Jussi Adler Olsen - "Erlösung"  -  Thriller
©2011 dtv premium 24852 - 588 Seiten, Klappenbroschur - 14,90 €




















Weitere Informationen:  
www.adler-olsen.de/  -  www.jussiadlerolsen.dk/ und  www.dtv.de