Einander ein Engel sein

Marco Balianis "Kleine Engel" am WTT

von Martin Hagemeyer
Einander ein Engel sein

"Kleine Engel"
Das aktuelle Kinderstück am WTT
von Marco Baliani.



Inszenierung: Claudia Sowa - Besetzung: Rocco: Björn Lenz – Assunta: Kristina Otten.
 
In ihrer Fantasie können Assunta und Rocco fliegen und unternehmen auf der Suche nach Arbeit Reisen durch die Luft. Doch am Ende des Stücks „Kleine Engel“ von Marco Baliani, der neuen Familienproduktion des Westdeutschen Tourneetheaters, bleiben die beiden jungen Helden auf der Erde – denn statt Arbeit haben sie zwar keine Engel, dafür aber einander gefunden.
 
Voll kindgerechter Komik hat WTT-Intendantin Claudia Sowa die Geschichte von Rocco, dem Arbeiter (gespielt von Björn Lenz) und Assunta, der Putzfrau (Kristina Otten), die beide noch nach einer Anstellung suchen, auf die Bühne gebracht. An der „letzten Laterne der Straße“ treffen sie aufeinander; denn hier, so hat es ein schwarz gekleideter Unbekannter jedem von ihnen einzeln versprochen, sollen sie Arbeit finden. Beide setzen große Hoffnungen in diese Zusage; Assunta hat allerdings besondere Vorstellungen, die bei Rocco auf Stirnrunzeln stoßen: Engel werden kommen und sie im Himmel arbeiten lassen, davon ist sie überzeugt. Kristina Otten zeigt sie sprudelnd vor Energie und bis zur Sturheit unbeirrbar in ihrem Glauben. Rocco ist bei Björn Lenz ein schlichtes Gemüt, vertrottelt, aber sympathisch – und hat in seiner Skepsis gegenüber Assuntas Schwärmereien  wohl auch das größere Identifikationspotential.
 
Überdreht und clownesk ist der Humor, den sich die Regisseurin, immer gern gemeinsam mit den Schauspielern, hat einfallen lassen: Als Rocco sich auf ihre Aufforderung vorstellt, wie die Fabrik, in der er am liebsten arbeiten würde, aussehen könnte, nimmt Assunta spontan Pose als lebende Drehbank an, und er bringt fachmännisch ihre hochgereckten Arme in Bewegung. Beim Versuch zu fliegen, vollführen die zwei Hand in Hand waghalsige Bewegungen und landen zur Freude der Kinder im Publikum bäuchlings auf dem Boden. Und auch mit Sprache läßt sich trefflich Quatsch anstellen – Assunta: „Was hat der Mann gesagt, wo du arbeiten wirst?“ Rocco: „Konnte ich nicht verstehen! Die Straßenbahntür krachte gerade so laut zu. So: HÖÖÖMMML!“ Assunta: „Da hast du’s. ‚Himmel.‘“
 
Viel Gelächter begleitet die Darsteller bei ihrem bewegten Spiel. Allerdings bekommen sie im Nachgespräch von den Schülern auch kritische Fragen zu hören: Warum gibt es kein anderes Bühnenbild als immer nur die Laterne? Warum machen nur zwei Schauspieler mit? Warum kriegt man den schwarzen Mann nicht mal zu sehen? Und in der Tat: Spannung gehört wohl nicht zu den Stärken von „Kleine Engel“. Eine schöne Botschaft bietet das Stück, dank der Inszenierungs-Ideen auch einiges zu sehen – aber wer sich eine Handlung zum Mitfiebern gewünscht hatte, war am Ende nicht unbedingt ganz zufrieden. Aber: Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn heutige Kinder (und nicht nur sie) gelegentlich auch weniger Ereignisreiches erleben und womöglich schätzen lernen.