Genossen unter sich

Hans Modrow las in Schildow aus seinen Erinnerungen.

von Thomas Klatt

Hans Modrow - Foto © Thomas Klatt
Genossen unter sich
 
Ein Gastbeitrag von Thomas Klatt

Schön, bei euch zu sein:
Hans Modrow las in Schildow
aus seinen Erinnerungen.


Es wirkte beinahe wie eine Ortsgruppenversammlung der Linken. Hans Modrow, ehemaliger SED-Bezirkschef von Dresden und vorletzter Ministerpräsident der DDR, kam am Dienstagabend nach Schildow, um sein neuestes Buch „Sagen, was ist“ vorzustellen. Im Publikum viele seiner Generation. Man duzt sich und man kennt sich. Der Hans ist da.
 
„Sagen, was ist“ geht zurück auf ein Zitat von Rosa Luxemburg, das sich Modrow gemeinsam mit der Autorin Gabriele Oertel für dieses Buch von der Vorkämpferin geliehen hatte. Modrow bleibt dem Motto des Buches treu und spricht offen über seine Zeit als Dresdner Parteichef, als Ministerpräsident oder auch über seine Anfangsjahre im EAW Treptow (1953-1960 VEB Elektro-Apparate-Werk J.W. Stalin, Anm. d. Red.), wo er wissenschaftlicher Assistent war. Er verkörpert in all den Jahren das Bild des kritischen Parteisoldaten, der aber in letzter Konsequenz nicht hinwirft, sondern sich unterordnet.
Der Abend geht konzentriert, aber manchmal bunt durch die jüngere Zeitgeschichte. Das Verhältnis zur Sowjetunion ist Modrow besonders wichtig. Warum zerfiel das Riesenreich, und wie konnte der Chef einer kommunistischen Partei die Abschaffung des Kommunismus zum Ziel erklären?
 
Es überrascht nicht, daß Modrow mit Gorbatschow hart ins Gericht geht. Warum dieser später sagt, „die Frage der Bodenreform habe auf höchster Ebene keine Rolle gespielt“ ist ihm unerklärlich. Als Zeitzeuge, so Modrow, weiß er es besser. Schließlich sei die Gorbatschow-Stiftung ein prosperierendes Unternehmen.
Mit Valentin Falin, dem alten Fuchs und gewieften russischen Außenpolitiker, steht er sich gut und sieht sich im inneren Zirkel. Der war es auch, der nach den Zwei-plus-vier-Verhandlungen 1990 sah, daß der Weg der deutschen Einheit klar vorgezeichnet war. Auch sei es die Sowjetunion gewesen, die die RGW-Strukturen abgeschafft habe. Und somit auch den transferablen Rubel, mit dem zwei Drittel aller Geschäfte getätigt wurden, durch harte Währung ersetzt wurde. Der Untergang vieler DDR-Betriebe, so Modrow, war damit vorprogrammiert.
 
Modrow, der nach seinen Erzählungen schon in den 80ern als Dresdner Bezirkschef im Politbüro über den kritischen Gesamtzustand des Landes informiert hatte, wird gefragt, wann der Untergang der DDR absehbar war. Eine der Ursachen sei der Unwillen des Politbüros gewesen, die Probleme offen zu benennen und zu ändern. Sein damaliger Vorstoß sei von allen Politbüromitgliedern – außer von Willi Stoph – gerügt worden. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gilt Modrow als Reformer.
Zur Zeit des Putsches in der Sowjetunion war er im Urlaub auf der Krim, sah die Machtspiele aus nächster Nähe. Gorbatschow, der „Charakterlose“ wird entmachtet, Jelzin kommt. „Der Zug fuhr, alle fuhren mit, nur einer sprang ab, das war Gorbatschow“. So beschreibt 1990 ein hoher russischer Offizier die Situation. Dazu gehörte auch das Bild vom betrunkenen Boris Jelzin, der in Treptow am Ehrenmal die Streitkräfte unwürdig verabschiedet – bis man ihn endlich wegführt.
Putin habe er erst später kennengelernt. Er war ja in Dresden nicht der Chef, mit dem man üblicherweise sprach. Später haben sie dann noch mal gemeinsam in Berlin Gastgeber Wowereit verärgert, als sie Russisch miteinander sprachen.
Der Ausflug in die jüngere Geschichte dauert an diesem Abend mehr als zwei Stunden. Der 83-jährige ist fit und ganz der große Ehrenvorsitzende seiner Partei. Im Vergleich zu anderen Ex-Spitzenfunktionären wie Mielke („Ich liebe euch doch alle“) oder Schabowski: („Wir waren alle Arschlöcher“), nimmt man ihm den integren großen alten Mann der Linken ab. Auch der „Schönheitsfehler“ des Verdachts der Wahlfälschung und die folgende Bewährungsstrafe scheinen die Biografie kaum zu belasten. Wahlfälschung hieß damals vorrangig: Die Prozente der Wahl-Beteiligung nach oben zu korrigieren - weil nicht sein sollte, was nicht sein durfte. Das stört aber an dem Abend keinen. Man ist schließlich (fast) unter sich.
 
„Sagen, was ist“ könnte denn auch als unfreiwillige Antwort auf Gorbatschows Glasnost gedeutet werden – der Mut, über die Dinge offen zu reden und die Probleme beim Namen zu nennen. Die nötige Courage dafür ist allerdings in einer Demokratie ungleich kleiner als in einer Diktatur. Daß Gorbatschow Millionen Anhänger in der DDR hatte, weil er etwas versprach, was die alte DDR-Polit-Garde nicht bieten konnte, spielt bei Hans Modrow kaum eine Rolle.
So hat „Sagen, was ist“ einen kleinen Makel: Es kommt 25 Jahre zu spät.
 
 
Thomas Klatt ist Lokalchef  des Oranienburger Generalanzeigers - Erstveröffentlichung dort am 26.5.2001
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis von Verlag und Autor
Redaktion: Frank Becker