Unrasiert und in 3-D

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
15. Mai: Wenn wir Männer uns nicht mehr rasieren würden. Wenn wir Männer uns nicht mehr rasieren würden, dann sähen wir aus wie Wilde. Dann würden wir manchmal Töne von uns geben, die versteht gar keiner - und trotzdem wissen alle, daß wir was zu trinken wollen und auch was zum lieben und genau in der Reihenfolge. Wenn wir Männer uns nicht mehr rasieren würden, dann würden uns unsere Frauen nicht mehr ihren Eltern vorstellen. Wenn wir Männer uns nicht mehr rasieren würden, dann wären die Frauen schon zufrieden, wenn wir die Mülleimer rausstellen würden und die Müllabfuhr nicht uns aus Versehen mitnimmt, sondern die Mülleimer. Wenn die Männer sich nicht mehr rasieren würden, dann würde keiner mehr wirklich im Ernst von uns erwarten, daß wir uns beim Pinkeln hinsetzen würden. Da scheißen wir drauf. Da wären alle froh, wenn wir überhaupt dazu auf das Klo gehen würden. Wenn wir Männer uns  nicht mehr rasieren würden, dann wäre Stille um uns herum. Kein Schmu und kein Schmäh. Unser Hund würde uns die Zeitung bringen, die Frau die Pantoffel und die Kinder kraulten unseren Rücken.
 
17. Mai: Was viele Jugendliche nicht wissen. Bevor es 3-D im Film gab, gab es das schon in Wirklichkeit. Unsere Welt wurde schon in 3-D gemacht, da war der Film noch schwarz/weiß und ohne Ton. Inzwischen hat aber der Film die Wirklichkeit in allen Lebenssituationen eingeholt. Das Leben im Film erscheint erfüllender und aufregender zu sein, als es selbst das Leben in den schönsten Augenblicken gewesen war. Man muß es mal sagen, der Film scheint inzwischen sogar echter zu sein, als das Leben es einem vorgaukelt. Die Frage ist doch: Ist man lieber der, der im Straßencafe sitzt und sich daran weidet, welche Narren an ihm vorüberhetzen oder sitzt man lieber als heimlicher Beobachter vor einem 3-D-Film und schaut fassungslos den schönen Frauen und Männern beim Lieben zu. Die Wirklichkeit kann man übrigens auch ohne 3-D-Brille in 3-D sehen.
 


© 2011 Erwin Grosche