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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko

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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Maria Magdalena bestimmte meine Gedanken schon seit Wochen. Über diese Frauengestalt der Bibel wollte ich schreiben, einen Vortrag halten. Ich hatte über sie eine Menge gelesen. Es gab so Vieles was mir erwähnenswert erschien, und je mehr ich mich mit dieser Frau beschäftigte, von der man sagte, daß Jesus sie am meisten liebte, desto unfaßbarer wurde sie. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie bei meinen täglichen Spaziergängen neben mir ging, so wie damals mit den Jüngern zu Jesu Lebzeiten, mit Johanna, der Frau eines Beamten des Herodes, Salome und Susanna. Es gab aber auch noch andere Frauen, die man nicht näher mit Namen kannte. Sie waren nur kurze Zeit in der Jesusbewegung, hörten ihn predigen und gingen wieder, weil sie es wahrscheinlich ohne ihre Familien nicht mehr aushielten. Ich hatte so viele Fragen an sie. Alles war so rätselhaft und ich konnte aus den Andeutungen der Evangelisten, die Maria Magdalena im Neuen Testament erwähnten, nur wenig über sie erfahren, jedenfalls nicht das, was ich eigentlich wissen wollte. Man vermutet, daß Maria Magdalena nach einem Ort genannt wurde, weil sie über keinen Ehemann bestimmt wurde, also allein war, und ganz bewußt in die Jesusnachfolge eingetreten war. Eine jüdische Frau ihrer Zeit durfte Vermögen haben und darüber verfügen. Man respektierte es, wenn sie sich von ihrer Familie lösen wollte. Maria aus Magdala war keine unterdrückte jüdische Frau, hatte anscheinend Vermögen, dafür spricht auch das Alabastergefäß mit Nardenöl, das sehr kostbar war, und bei der Salbung von Jesus erwähnt wird. Im Lukasevangelium wird davon berichtet.
 
Ich machte meinen Spaziergang wie jeden Tag und bog dann in den kleinen Park meines Wohnviertels ein, in dem ein Pavillon stand, der früher eine Galerie beherbergte, und zu dem von der Autostraße eine Treppe führte, die zu beiden Seiten dicht mit Büschen bewachsen war. Als ich im Park war, hörte ich die Sonntagsglocken der Johanneskirche läuten. Bei diesem Glockenläuten ergriff mich eine eigentümliche Feierlichkeit:
Ich sah mich als Kind zur Kirche gehen, in eine dieser schönen Barockkirchen, wie sie überall in den Marktflecken meines Heimatlandes anzutreffen waren und die man sorgfältig pflegte und restaurierte. Ich saß in einer der vorderen Kirchenbänke links, auf der Frauenseite, mit gefalteten Händen und erhob mich, als der Priester und zwei Ministranten, der eine die Messingglöckchen für die heilige Wandlung tragend, der andere das Weihrauchgefäß schwenkend, aus der Sakristei kamen und auf den Altar zugingen. Alle drei beugten gleichzeitig das Knie vor dem Allerheiligsten und der Priester schloß den goldenen Kelch mit den Hostien in den Tabernakel ein. Dann küßte er den Altar. Das alles geschah in feierlicher Stille, sodaß sich das Hinsetzen der Gläubigen danach wie ein nicht enden wollendes Husten, Räuspern und Füße scharren anhörte, das in meinen Ohren lange nachhallte.
 
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.
 
Schon viele Male hatte ich dieses sonntägliche Ritual erlebt und wieder zog der Weihrauchgeruch langsam durch das Mittelschiff der Kirche, breitete sich aus, unsichtbar angeschoben vom Atem der Gläubigen. Ich hatte es noch erlebt, als die Messe in Latein zelebriert wurde. Ich liebte den Klang der Sprache und das Geheimnis an ihr: Patri, et Filio, et Spiritu Sancto. Es machte mir nichts aus, daß ich kein Wort verstand. So hatte ich Muße meine Augen wandern zu lassen, vom Hauptaltar mit den Skulpturen der Heiligen Hippolyt und Christopherus, über den Altar der Heiligen Anna auf der Frauenseite und zum Altar der Heiligen Familie auf der Männerseite. Ich roch den strengen Duft der Chrysanthemen, die in bauchigen Vasen langsam dahinwelkten. Die bunten Kirchenfenster, durch die das Licht einfiel, verwandelten sich in ein Kaleidoskop von Gedankenmustern, luden ein zum Träumen. Die heilige Messe der katholischen Kirche hat zwei Hauptteile, den Wortgottesdienst und die Eucharistie. Der Wortgottesdienst umfaßt Schriftlesungen mit Auslegungen, Antwortgesänge und Gebet. Der eucharistische Teil besteht aus der Gabenbereitung, aus dem Hochgebet und der Kommunion. Das ganze wird eingerahmt von einem eigenen Eröffnungsteil und von der Entlassung.
 
Ich fieberte jedes Mal der Entlassung entgegen und lief so schnell ich konnte mit den Geschwistern den Kirchsteig hinunter in die Konditorei, wo der Vater uns bereits erwartete, und Kuchen für den Nachmittagskaffee kaufte. Und wir alle bekamen buntes Zuckerwerk, von dem wir nur winzige Stückchen verzehrten, damit wir ganz lange etwas davon hatten.



© Friederike Zelesko