Solo für einen Säufer

Ich kom(m)a saufen im Theater Hof

von Alexander Hauer
Hof
 
Ich komma saufen
von Holger Schober
 

Regie: Claudia-Maria Wagner  -  Darsteller: Florian Bänsch - Fotos: SFF Fotodesign Hof
 
Da muß er nun in die Schulklassen gehen und seine Lebensgeschichte breittreten. H., der eine veritable Säuferkarriere hinter sich hat und als einziger von seinen Freunden überlebte. Und nur weil der blöde Bulle sich gebückt hat, als er die leere Flasche in Gebüsch warf, steht er nun hier. Er, H., der sich und alles im Griff hat, dessen Philosophie „wer sich nicht beherrscht, darf nicht saufen“ lautet, muß wegen so einer Kleinigkeit 50mal durch die Klassenzimmer tingeln und den Schülern seine Lebensgeschichte auftischen. Natürlich, sein Vater hat seine Mutter mit einem Gürtel totgeprügelt.
 
Das erwartet man doch auch von einem Alki, ist aber nur ein Einsteigerscherz, nein, er kommt aus guten Verhältnissen. Genau wie seine Kumpels Fritz, Karl und Marco. Ja, Marco sein bester Freund, der im besoffenen Kopp in einer Silvesternacht vom 12 Meter hohen Kirchturm gesprungen ist und jetzt mit irreparablen Hirnschäden im Rollstuhl vor sich hinvegetiert. Nein, das ist kein Leben, und deshalb besucht er ihn auch nicht mehr, tot ist tot. Oder Fritz, der schönste Junge in der Klasse, hatte auch ´ne Freundin, die wollt ihn aber nicht ranlassen, jungfräulich in die Ehe und so. Naja, da haben die Anderen ihn eben angestachelt, bei einer „politischen Diskussion“, bei der es doch nur ums Saufen ging, es mit der Klassenschlampe zu treiben. Nur die Klassenschlampe war keine, und wollte schon gar nicht mit Fritz, ja, und dann war sie auf einmal tot, und Fritz hat sich dann im Jugendknast mit seinen Schnürsenkeln aufgehängt. Ja, und Karl, der „ich mach das schon“-Karl, immer cool, immer lässig, alles cremig. Und der wollte mit dem Saufen aufhören und ist dann in die Waldhütte gegangen um es mit kaltem Entzug, „ich mach das schon“- Cold Turkey, zu versuchen. Ja er wußte drüber Bescheid, daß die meisten unkontrollierten kalten Entziehungen tödlich enden, aber ich mach das schon. Ja auch er ist dahin. Nur noch er, H., er lebt. Aber er fühlt sich gut beim Saufen, er hat sich im Griff und er schadet ja auch niemandem, und wenn der blöde Bulle sich nicht gebückt hätte, dann wär er auch nicht hier, das war’n Zufall. Logo, wenn einer besoffen Auto fährt und dabei jemand zu Schaden kommt, hat die ganze verdammte Welt das Recht, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Er fährt nicht besoffen, er hat sich ja im Griff. Und eins ist klar, wer sich nicht im Griff hat, der darf nicht saufen.
 
Claudia-Maria Wagner, Theaterpädagogin und Leiterin des Hofer Jugendtheaters, erarbeitete zusammen mit Florian Bänsch, sonst der Sonnyboy in den Operetten und Musicals des Hauses, dieses Ein-Personen-Drama. In knapp einer Stunde durchläuft Bänsch die verschiedenen Phasen von H.s Leben, von überheblicher Arroganz über stille Verzweiflung und Lebensangst, bis hin zum fast ekelerregenden Selbstmitleid. Holger Schober gibt in seinem Stück aber keine Lösungen, nein, noch nicht einmal Lösungsvorschläge, er schildert nur mit fast chirurgischer Präzision den Werdegang eines jugendlichen Quartalsäufers, der sich zum komatösen Dauerbrenner steigert, bis ihm das Leben total entgleitet. Der Verlust der Freunde, die Lebensumstände, die dazu führten, werden von H. nicht mehr wahrgenommen. Sein Leben dreht sich um einen Fixstern, und das ist die nächste Dröhnung. Bänsch gibt diesem „Problemkind“ Leben, macht aus der Kunstfigur H. ein beeindruckend glaubwürdiges Wesen. Er spielt mit seinem Publikum, treibt es wie eine Viehherde vor sich her, bringt es genau zu dem Punkt, an dem das bloße Zuschauen schon fast unerträglich wird. Und wenn der Zuschauer Stellung genommen hat, zeigt er eine neue Facette auf. Dann verlangt er auf einmal Verständnis für seine Situation, dann möchte er bedauert werden, dann wird er zum Hilfsbedürftigen,
 
der aber im gleichen Augenblick wieder jene Arroganz (du trinkst keinen Billigwodka für 2,99 mehr, wenn du einmal das gute Zeug hattest) an den Tag legt, für den man ihn auch sofort wieder haßt. Aber Schober richtet nicht in seinem Stück, er gibt niemanden die Schuld an H.s Situation. Nein, er sucht noch nicht einmal einen Schuldigen. Komasäufer gab es schon immer, zu allen Zeiten, nur heute haben wir ein Wort dafür.

Am Ende, nach seinem Gesprächen bei den AA, nach langer Betreuung, und nachdem er zum ersten Mal seine Bewährungsauflagen erfüllte, in den Schulklassen seine Geschichte zu erzählen, ist H. wieder ein toller Mann, er wird bewundert angestarrt, ja, er hat sich wieder im Griff. Da kann ein kleiner Wodka aus der Kioskkollektion doch nicht schaden, oder?
 
Anmerkung: Die nächste Vorstellung im Theater Hof, Foyer findet am 23.5.2011 statt, die Vorstellung kann als mobile Produktion auch von Schulen, Vereinen und Betrieben gebucht werden.
 
Redaktion: Frank Becker