Vom Nutzen und Schwitzen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
8. Mai: Westfälische Anekdote: Im Westfälischen Volksblatt war zu lesen, daß die einzige Telefonzelle in Schloß Hamborn abgebaut wird. Ein Jahr stand sie ungenutzt im Weg. Niemand hat von dort telefoniert. Eine Telefonzelle gilt für die Post nur als rentabel, wenn sie in einem Monat mindestens 10 Mal genutzt wird. Inhalt und Länge der Gespräche sind dabei nicht wichtig. Wieso wird in Schloß Hamborn so wenig telefoniert? Die Erklärung ist einfach. In Schloß Hamborn wohnen nur Anthroposophen und die kommunizieren anders miteinander als über das Telefon. Man versteht sich dort durch Schwingungen. Auch die Liebe kann man anders spüren lassen  und braucht sie dann nicht mit der Post abzurechnen. Manche vermissen trotzdem die die Telefonzelle. Sie war gelb.

12. Mai:
Was wird heutzutage viel gelaufen. Früher liefen auch Menschen vorbei. Manche hatten es eilig und mußten einen Zug erreichen. Andere hatten Sehnsucht und liefen zu ihrem Schatz. Viele liefen weg, weil sie verfolgt wurden. Sie hatten Angst. Heute laufen auch viele Menschen. Sie hecheln vorbei und tragen Kopfhörer. Sie haben es eilig schön zu werden, schnell und muskulös. Manche wollen schwitzen und ihren neuen Trainingsanzug zeigen. Welch ein Luxus. Wir sind die erste Gesellschaftsform, die es sich erlauben kann freiwillig eilig zu sein. Ich schwitze, also bin ich. 




© 2011 Erwin Grosche