Die Kunst der Reduktion
Instruktive Designausstellung im Kestner-Museum Hannover Als vor rund dreißig Jahren im Kontext der auftrumpfenden sog. Postmoderne das Neue Italienische Design in seinen Spielarten von Alchimia und Memphis auf den Plan trat, hatte es den Anschein, als habe die letzte Stunde des Funktionalismus geschlagen. Nicht mehr der Gebrauchswert eines alltäglichen Gegenstandes schien das Maß der Dinge zu sein, sondern sein „künstlerisches“ Auftreten, sein grelles, nicht selten auch provozierendes Äußeres, seine verspielten Zutaten, sein die ehernen Gesetze der „guten Form“ verletzendes Aussehen. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, das Pendel ist in die entgegengesetzte Richtung umgeschlagen, und die Frage nach dem Wesen eines Gebrauchsgegenstandes, nach der „Essenz der Dinge“, hat erneut Konjunktur. Dies ist auch die Kernfrage einer Ausstellung, die derzeit im August Kestner-Museum in Hannover zu besichtigen ist.
Berühmt ist dieses Museum für seine exquisiten Sammlungen ägyptischer, griechischer, etruskischer, römischer und mittelalterlicher Kunst. Erst unlängst brillierte es mit einer fabelhaften Sonderausstellung zur Kunst der Etrusker, nun sucht es mit einer Designausstellung den Anschluß an die Gegenwart – dies ein erklärtes Ziel seines Direktors, des Kunst- und Designhistorikers Wolfgang Schepers, dem neben der Archäologie als dem klassischen Museumsschwerpunkt die Präsentation der modernen Alltagskultur ein ganz besonderes Anliegen ist.
Design ohne Designer
Konzipiert wurde die Ausstellung vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein, von Schepers wurde sie für Hannover leicht modifiziert. In einem Prolog und zwölf Kapiteln beleuchtet sie das „Design und die Kunst der Reduktion“ – so der Untertitel – unter ökonomischen, funktionalen, ästhetischen und ethischen Aspekten. Sucht man für diese Ausstellung ein prägnantes Motto, so bietet sich einmal mehr Mies van der Rohes zwar reichlich abgenutztes, aber immer noch treffendes Diktum „weniger ist mehr“ an. Gezeigt werden Nutzobjekte, die gestaltet wurden, um eine bestimmte, ihnen zugedachte Aufgabe optimal zu erfüllen und dabei zugleich ästhetischen Ansprüchen gerecht zu werden. Ein so verstandenes Design wird gemeinhin als „funktionalistisch“ bezeichnet, ein Begriff, der sich von dem Ende des 19. Jahrhunderts geprägten, berühmt gewordenen Satz „form follows function“ des amerikanischen Architekten Louis Sullivan herleitet. Dieser Satz transportiert die Überzeugung, daß es vorgängig die Funktion sei, die die Form eines Gebrauchsgegenstandes bestimme oder zu bestimmen habe. Natürlich war das eine Position, die entschieden gegen den Historismus jener Zeit mit ihrem exzessiven Gebrauch tradierter ornamentaler Schmuckformen gerichtet war. Seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, seit dem Bauhaus und seiner großen Schar sympathisierender Adepten, wurde dieses Credo zur vorherrschenden Designideologie, die erst mit dem Aufstieg der Postmoderne gründlich erschüttert wurde.
Daß es sich immer noch lohnt, genau hinzuschauen, was es mit der Kunst der Reduktion auf sich hat, stellt die Hannoveraner Ausstellung überzeugend unter Beweis. Besonders interessant ist das, was den Besucher im einführenden, unter der Überschrift „Prolog“ firmierenden Teil der Ausstellung erwartet. Denn hier handelt es sich nicht primär um eine Parade der Großmeister des Designs, sondern um Schlaglichter auf eine „Designgeschichte ohne Namen“, um einen klassisch gewordenen Begriff des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin abzuwandeln. Unübertroffen hinsichtlich ihrer Funktionalität bei gleichzeitiger formaler Reduktion präsentieren sich ein altsteinzeitlicher Faustkeil (gerühmt als „Schweizer Messer der Steinzeit“), ein Eierkarton aus Pappe, ein Topfuntersetzer aus geflochtenem Metalldraht, ein Sparschäler, eine japanische Schere und manch andere nützliche „tools of everyday“. Selbst wenn der Name des Entwerfers bekannt ist (wie im Fall des seit 1947 unveränderten Sparschälers von Alfred Neweczerzal), handelt es sich um Objekte, die eher der Kategorie des sog. anonymen Designs zuzurechnen sind und eine „personalisierte Autorenschaft gar nicht nötig zu haben“ scheinen, da sie durch „die unaufdringliche Unterstützung menschlicher Alltagshandlungen“ überzeugen (Wiebke Lang im begleitenden Katalogbuch). Ikonen des Möbeldesigns
Aber auch an den Highlights der Designgeschichte, an den Ikonen des Designs, entworfen von den Stars der Szene oder solchen, die dazu geworden sind, ist in Hannover kein Mangel. Dargestellt wird das Prinzip der Reduktion in erster Linie am Beispiel des Sitzmöbels. Das ist weder neu noch originell, gelten Stühle und Sessel doch seit eh und je als bevorzugte Objekte, um
Die Ausstellung „Die Essenz der Dinge“ untersucht die Kunst der Reduktion aus den unterschiedlichsten Perspektiven, indem Fragen der Materialbeschaffenheit, der Produktentwicklung, der Produktionsökonomie, der Logistik oder des Zeichencharakters eines Designobjektes thematisiert und anschaulich visualisiert werden. Dazu dienen nicht nur die Gegenstände selbst, sondern ergänzendes Bildmaterial aus Architektur, Mode und Kunst veranschaulicht das komplexe Bedingungsfeld, in das Designprozesse eingebunden sind.
Als Paradebeispiel eines minimalistischen, vom Ballast des Historismus unbeschwerten Entwurfs figuriert in der Hannoveraner Ausstellung Thonets legendärer Bugholzstuhl No. 14 von 1859, mit dem die Industrialisierung der Möbelproduktion begann. Ein durchsichtiger Plexiglaskubus von 1
Begleitet von dem gediegenen, aber recht teuren Katalogbuch ergibt die Ausstellung mit ihren mehr als 150 repräsentativen Objekten eine höchst instruktive Lektion nicht nur zur Designgeschichte, sondern im erweiterten Sinne zu einer Kulturgeschichte des Alltags.
Die Essenz der Dinge – Design und die Kunst der Reduktion
Museum August Kestner - bis 26.06.2011
Trammplatz 3 - 30159 Hannover - Tel. 0511/168-42120
Katalogbuch „Die Essenz der Dinge – Design und die Kunst der Reduktion“, hrsg. v. Vitra Design Museum (Mathias Schwartz-Clauss/Alexander von Vegesack), Weil am Rhein 2010; ISBN 978-3-931936-50-1; 41,- €.
|