Das neue Geschäftsgebaren

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Das neue Geschäftsgebaren
 
Der Grog gestern Abend mag zu stark gewesen sein, wie auch immer, das Erwachen heute dauerte besonders lang. Und dann kamen Ereignisse, ich weiß nicht, nein, ich weiß nicht einmal, ob ich sie berichten soll. Ich schlurfte noch im Halbschlaf in sie hinein.
 
Die Bäckerin, die sonst nie ihren Laden verläßt, brachte Brötchen. „Zahlen?“ fragte sie. „Das können Sie später.“
 
Ich war noch im Schlafanzug, als der Finanzbeamte Herr Geiger klingelte. Er entschuldigte sich damit, daß einen Hinweis auf eine kleine Nachzahlung gäbe. Ich erwiderte, daß ich mich schon lange auf seinen Besuch gefreut hätte, und wie viel und wann ich denn bezahlen müsse?
Ich möge es selbst einschätzen, antwortete er freundlich, er lasse einmal ein Überweisungsformular hier liegen, falls mich einmal die Lust überkäme, und so weiter …
Er machte eine leichte Verbeugung und ging. Bevor ich die Tür schließen konnte, erschien die Frau des Installateurs in leichter Sommerkleidung und sagte, man sei sehr zufrieden, diese schwierige Reparatur an meiner Ölheizung im Keller abgeschlossen zu haben.
 
Ich verstand. Danke. Und was ich zu zahlen habe, wollte ich wissen. Sie wisse es selbst nicht genau, erwiderte sie, aber man könne ja bei einer Tasse Kaffee darüber reden. Das hätten wir doch schon lange vor, oder?
„Machen wir“, sagte ich.. „Aber ich will jetzt zahlen. Ich will die Sache hinter mir haben.“
„Zahlen Sie, was Sie für richtig halten“, sagte sie freundlich. „Das machen die Geschäftsleute jetzt alle so.“
 
Kurz darauf kam der Vermieter mit dem Hausmeister. Sie trugen mich in einer Sänfte zum Waschbecken, wo ich mir die Zähne putzen konnte.
Inzwischen ist mir klar geworden, daß ich mich an einen neuen Lebensstil und das neue Geschäftsgebaren gewöhnen muß.
Mittlerweise habe ich mich übrigens daran gewöhnt.



© 2011 Karl Otto Mühl
Redaktion: Frank Becker